Birte Müller Die schwer mehrfach normale Familie: Ich denke immer nur an das Eine
Ich soll eine Kolumne schreiben. Das Thema darf ich frei wählen, nur um Kinder soll es gehen. Kein Problem! Um sie dreht sich eh ständig alles. Selbst wenn sie schlafen, reden Matthias und ich noch über sie. Wenn wir endlich entspannt vor der Glotze sitzen, darf ich anderen Menschen dabei zusehen, wie sie ihr zufriedenes Baby ins Bett legen, was dann nicht etwa schreit, sondern ein Mobile anlächelt. Zu den größeren Kindern sagen sie: „Jetzt aber ab ins Bett, ihr Rabauken“ und das Thema Kinder ist damit abgehakt. Dann essen sie in Ruhe, unterhalten sich über wichtige Themen, bekommen Besuch, hören Musik und haben Sex im Wohnzimmer.
Ich ertappe mich dabei, dass ich nicht nur an meine, sondern auch an die Fernsehkinder denke: Haben die Zähne geputzt? Und hoffentlich kommt jetzt kein Kind ins Wohnzimmer!
Neulich habe ich in einer Zeitschrift gelesen, dass Männer alle 30 Minuten an Sex denken. Essen kommt ihnen angeblich fast genauso oft in den Sinn und das Thema Schlafen immerhin jede Stunde. Dass Frauen nur halb so oft an Sex denken, hat mich nicht überrascht – aber dass sie auch seltener an Essen und vor allem deutlich seltener ans Schlafen denken, kann nicht stimmen!
Warum wurde in der Studie nicht gefragt, wie oft Männer im Vergleich zu Frauen an die Kinder denken? Aber dann habe ich gesehen, dass nur College-Studierende zwischen 18 und 25 Jahren befragt wurden.
Matthias denkt definitiv seltener an die Kinder und häufiger an Sex als ich – worum ich ihn etwas beneide. Falls es auf meinen Mann zutreffen sollte, dass er wie ein 20-Jähriger 34-mal täglich an Sex denkt, dann leistet er das wahrscheinlich komplett innerhalb der Minute ab, in der er abends die Glotze ausschaltet, damit wir ins Bett gehen können. Das ist exakt der Moment, in dem ich in derselben Frequenz ans Schlafen denke.
Natürlich denke ich dann auch an Sex, allein schon, weil ich weiß, dass Matthias daran denkt. Aber erst mal muss man ja noch schauen, ob Willi schon wieder eine volle Windel hat und ich muss noch Olivias Klamotten für den nächsten Tag bereitlegen.
Es ist schrecklich, an die Kinder denke ich wirklich ständig, manchmal sogar beim Sex!
Mitunter werfe ich Matthias indirekt vor, dass ich nur die Möglichkeit hätte, weniger an die Kinder zu denken, wenn er mehr an sie denken würde. Daraus ließe sich ableiten, dass ich dann auch den Kopf öfter frei hätte für Sex.
Wenn ich aber ganz ehrlich bin, würden wir in den meisten Fällen dann wahrscheinlich nur einfach beide an die Kinder denken. Ich fände es super, wenn Matthias die Brote streichen würde, aber selbst dann würde mir morgens viel eher einfallen, noch mal in die Dosen zu schauen, um frische Paprika hineinzulegen, als Sex zu haben.
Birte Müller, 45, ist Bilderbuchillustratorin, Autorin und Mutter zweier Kinder: Willi (12) mit Down-Syndrom und Olivia (10) mit Normalsyndrom. Mehr Informationen auf www.illuland.de
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