piwik no script img

Biologieprofessor über urbane Evolution„Manche Spezies können mithalten“

Immer mehr Menschen leben in der Stadt und schaffen dort neue Biotope. Menno Schilthuizen untersucht, wie Pflanzen und Tiere sich daran anpassen.

Professor Menno Schilthuizen schaut sich eins seiner Forschungsobjekte durch die Lupe an Foto: Jan Schilthuizen
Interview von Anna Schughart

taz: Herr Schilthuizen, mit welchen besonderen Bedingungen müssen Tiere und Pflanzen in der Stadt zurechtkommen?

Menno Schilthuizen: Städte sind heißer, es gibt mehr steinige Oberfläche, weniger Erdboden. Dazu kommen das viele künstliche Licht und chemische Schadstoffe wie Schwermetalle. Das alles findet man so nicht in einer natürlichen Umgebung. Außerdem bringen Städte Spezies aus der ganzen Welt zusammen. Zum Beispiel indem Menschen exotische Bäume und Blumen in ihren Gärten pflanzen oder unabsichtlich auf Containerschiffen neue Spezies mitnehmen. Auf einmal entwickeln sich dann Arten gemeinsam, die vorher nichts miteinander zu tun hatten.

Was macht Lebewesen wie Tauben zu erfolgreichen Stadtbewohnern?

Sie bringen schon eine gewisse Präadaption an die Stadt mit. Die Vorfahren der Stadttaube haben beispielsweise schon in felsigen Umgebungen gelebt, die unseren Steinhäusern ähneln. Arten, die wir in unseren Häusern und Kellern finden, sind oft mit Höhlenbewohnern verwandt. Auf diese Weise können diese Tiere und Pflanzen die Städte erfolgreich besiedeln – und dann urbane Evolution machen.

Was ist urbane Evolution?

Erst mal ist das ein ganz normaler evolutionärer Wandel. Das heißt, die Häufigkeit bestimmter genetischer Merkmale in einer Spezies verändert sich. Bei der urbanen Evolution ist das jedoch das Ergebnis der Anpassung an die Stadt. So wie das Verhältnis von leichten und schweren Samen der Crepis sancta, die verwandt mit dem Löwenzahn ist. Die schweren Samen der Blume fallen nahe der Pflanze zu Boden und können im selben Flecken Erde auskeimen. Die leichten treiben dagegen mit dem Wind davon. In der Stadt landen sie dabei viel seltener auf geeignetem Boden. Also produzieren nur die schweren Samen Nachkommen und die leichten Samen verschwinden mit der Zeit aus den Städten.

Jan Schilthuizen
Im Interview: Menno Schilthuizen

Jahrgang 1965, forscht am Naturalis Biodiversity Center Leiden und ist Professor an der Universität Leiden. In seinem neuesten Buch „Darwin Comes to Town“ (Quercus, 2018) beschreibt er, wie Tiere und Pflanzen sich in der Stadt verändern. Die deutsche Ausgabe „Kojoten, die an Ampeln warten“ erscheint am 30. November im dtv-Verlag.

Darwin dachte, Evolution sei ein sehr langsamer Prozess. Hatten die Pflanzen und Tiere überhaupt schon genug Zeit, um sich an unsere Städte anzupassen?

Wir wissen schon eine Weile, dass Evolution schnell gehen kann – besonders bei Spezies, die in einer kurzen Zeit viele Generationen haben. Es stimmt aber, dass die Erkenntnis, dass diese schnelle Evolution von Menschen verursacht werden kann, eher neu ist.

Die Londoner U-Bahn-Stechmücke

Vor einigen Jahren machte Katharine Byrne eine überraschende Entdeckung. Die Wissenschaftlerin hatte verschiedene Stechmücken aus der Londoner U-Bahn genetisch untersucht und festgestellt: Die Stechmücken aus der U-Bahn waren anders als ihre Verwandten von der Oberfläche. Ja, sogar zwischen den Mücken, die in Tunneln verschiedener U-Bahn-Linien lebten, gab es Unterschiede. Die Stechmücken hatten sich auf ein Leben im menschengemachten Untergrund eingestellt. Zum Beispiel interessierten sie sich nicht wie ihre oberirdischen Verwandten für das Blut von Vögeln, sondern für Menschenblut, schreibt Menno Schilthuizen. Inzwischen weiß man, dass es die Londoner U-Bahn-Stechmücke nicht nur in London gibt. Sie lebt in unterirdischen Räumen auf der ganzen Welt – und hat sich an diese von Menschen geschaffenen Bedingungen angepasst. asu

Wie können Sie sicher sein, dass Sie tatsächlich Evolution beobachten? Wenn eine bestimmte Vogelart sich in der Stadt kühner verhält als ihre Verwandten vom Land, kann sie das doch auch gelernt haben.

Eine Möglichkeit, um das zu testen, sind sogenannte Common-Garden-Experimente. Dabei nimmt man ganz junge Organismen oder Samen aus einer städtischen und einer ländlichen Umgebung und lässt sie unter den gleichen Bedingungen im Labor aufwachsen. Wenn es zwischen den Individuen Unterschiede gibt, dann weiß man, dass sie erblich sind. Allerdings kann auch das An- und Ausschalten von Genen vererbt werden. Um also sicherzugehen, dass es wirklich Veränderungen in der DNA sind, muss man sie sequenzieren. Viele Studien, die ich in meinem Buch erwähne, haben zwar gezeigt, dass eine Veränderung vererbt wurde, aber nicht, ob es sich dabei um echte Unterschiede in der DNA handelt.

Pflanzen, die mehr schwere Samen haben. Schwalben, deren Flügel kürzer sind, damit sie schneller vom Asphalt abheben können – sind das Einzelfälle oder ist urbane Evolution weitverbreitet?

Ich denke, wir werden immer mehr Fälle sehen. Das Forschungsgebiet ist noch relativ jung, aber es wächst sehr schnell. Da der Selektionsdruck in der Stadt so allgemein ist, werden wir wahrscheinlich in jeder städtischen Spezies eine Form von urbaner Evolution finden.

Detox für die Taube

Schwermetalle in hohen Konzentrationen sind selten in der Natur. Doch wo Menschen sind, da finden sich auch Kupfer, Zink und Co. Einige Pflanzen und auch Tiere haben Wege gefunden, damit umzugehen. Eine Mutation hilft wahrscheinlich beispielsweise der Gelben Gauklerblume, Kupferatome aus den Zellen zu spülen. So kann sie nun auf den Berghalden einer Kupfermine wachsen, wo die Kupferkonzentration im Boden sehr hoch ist. Einen ähnlichen Mechanismus scheint es bei Gräsern zu geben, die in Großbritannien unter verzinkten Strommasten leben, schreibt Schilthuizen. Auch die Stadttaube könnte einen Weg gefunden haben, um mit der hohen Schwermetallkonzentration um sie herum fertigzuwerden: Es gibt Hinweise darauf, dass das Melanin in ihren Federn bei der Entgiftung hilft. Dunklere Tauben könnten also einen Vorteil haben – und deshalb in der Stadt häufiger sein. asu

Wo gibt es aktuell noch den größten Forschungsbedarf?

Wir fokussieren uns bisher noch darauf, zu untersuchen, wie sich Arten an die Physik und Chemie der Stadt anpassen. Von der Koevolution der Spezies verstehen wir bisher noch nicht so viel: Was passiert, wenn zwei Arten mit ganz unterschiedlicher Herkunft plötzlich in der Stadt aufeinandertreffen? In der französischen Stadt Albi haben die Menschen Tauben und Europäische Welse an einem Ort zusammengebracht. Normalerweise fressen die Welse andere Fische. Doch in Albi schmeißen sie sich ans Ufer, um dort Tauben zu fangen. Das könnte dazu führen, dass sich beide Spezies weiterentwickeln und sogar eine Art Wettrüsten entsteht: Auf jede Veränderung der einen Spezies reagiert die andere mit einer weiteren.

Der Mensch verändert den Planeten wie keine andere Spezies zuvor. Beruhigt Sie das Wissen, dass die Natur vielleicht doch mit uns mithalten kann?

Manche Spezies können mithalten – die meisten aber nicht. Wir können uns ganz sicher nicht darauf verlassen, dass die urbane Evolution alle Spezies rettet, die von unseren Handlungen betroffen sind. Um uns herum wird sich ein sehr armes, sehr spezialisiertes und sehr interessantes Ökosystem entwickeln.

Nüsseknackende Vögel

In der japanischen Stadt Sendai haben Krähen eine ganz kreative Art gefunden, Nüsse zu knacken: Sie schmeißen sie vor heranfahrende Autos, warten, bis diese darübergerollt sind, und picken die Nuss aus der zerbrochenen Schale. Natürlich gibt es kein Gen für „Nüsse vor Autos schmeißen“. Aber die Tendenzen, beispielsweise toleranter und neugieriger zu sein, können erblich sein, schreibt Menno Schilthuizen. Und genau diese Eigenschaften können in der Stadt von Vorteil sein: In der Natur ist es eher ratsam, den Menschen (und andere große Tiere) zu meiden, weil sie gefährlich sind. In der Stadt dagegen können die Tiere mit diesen Eigenschaften die Menschen und die Umgebung, die sie erschaffen, besser nutzen. asu

Wie werden diese städtischen Ökosysteme der Zukunft aussehen?

Über die Zeit – und dabei spreche ich natürlich von Tausenden Jahren – wird ein globales städtisches Ökosystem entstehen. Städte in der gleichen Klimazone werden sich immer ähnlicher. Gleichzeitig werden die Unterschiede zu den nicht­ur­banen Lebensräumen immer größer.

Warum ist das so?

Das liegt an dem sogenannten Telecoupling: Nicht nur Pflanzen und Tiere werden von einer Stadt zur nächsten transportiert, auch die Technologien oder der Städtebau gleichen sich an. Eine Neuerung, wie zum Beispiel LED-Lampen, verbreitet sich über die ganze Welt. Tiere und Pflanzen finden in den jeweiligen Städten also sehr ähnliche Bedingungen vor, an die sie sich anpassen müssen.

Können wir Menschen diese Anpassung unterstützen?

Wir müssen uns bewusst sein, dass wir ein Teil des ­städtischen Ökosystems sind und die urbane Evolution beeinflussen. Die meisten ­Spezies brauchen irgendeine Art von Vegetation. Wie wir also die grünen Flächen in unseren Städten or­ganisieren, hat einen großen Einfluss darauf, wie sich ein Ökosystem und die Tiere und Pflanzen darin entwickeln. Wir müssen den Spezies, die ­gerade urbane Evolution machen, ­dafür den Platz und den Boden ­geben. Das können wir zum Beispiel tun, indem wir grüne Dächer und Wände nicht gleich bepflanzen, sondern sie natürlich wachsen lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Streunende Hauskatzen machen in der Stadt alles zunichte. Das Aussterben des Spatzen in den Städten geht auf das Konto der Katzen. Die Biologie sollte mal klar Stellung dazu beziehen. Wir könnten 10x mehr Kleinvögel in der Stadt haben, nur durch Freilaufverbot für Hauskatzen von Mai bis Juli. Oder eine kräftige Katzensteuer. Die Stadttauben fallen doch nur deshalb so auf, weil die anderen Vögel weg sind. Sie könnten aber durchaus da sein.

     

    P.S:

    Der Wels frass selbstverständlich schon immer Vögel. Wasservögel. Enten, Gänseküken usw. Wenn die nicht ins Wasser kommen, holt er sie halt rein.