SCHULANMELDUNG : Bin ich zu blauäugig?
VON LUCIE MARSHALL
Am Samstag ist Sam bei seiner Kita-Freundin Mia zum Geburtstag eingeladen. Eigentlich hatte ich auf einen kinderfreien Nachmittag spekuliert, aber Sam will unbedingt, dass ich bleibe.
Außer Mias Eltern kenne ich keinen der anderen Erwachsenen, die wiederum anscheinend seit Jahrzehnten eng befreundet sind. Ich setze mich und befinde mich plötzlich in einem hitzigen Gespräch über Schule. Auweia, und ich dachte, ich verbringe den Nachmittag mit Pediküre.
Eine Mutter versucht mich höflicherweise mit ins Gespräch einzubinden: „Auf welche Schule soll Sam denn gehen?“ „Och, ich weiß noch nicht. Wir haben noch drei Jahre Zeit. Vielleicht Waldorf? Soll ganz nett sein.“
Das Gespräch verstummt augenblicklich und 7 Augenpaare sind entsetzt auf mich gerichtet: „WAS? Du willst auf die Waldorfschule und hast dich noch nicht gekümmert?“, fragt mich eine Mutter fassungslos. Ähh, nee.
„Also, ich bin da gleich nach der Geburt jedes Jahr auf den Weihnachtsbasar gegangen und habe Kontakte geknüpft“, erzählt eine andere Mutter, die aussieht, als würde sie ihre Zeit auch lieber auf der Fashion Week verbringen. Aber anscheinend hat sie alles richtig gemacht: Denn während ich mit Sam bei Mandeln und Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt abgehangen habe, sorgte sie für die Zukunft ihres Sohnes. Bin ich grob fahrlässig?
„Ist denn Sam auf einer Waldorf-Kita?“, hakt eine andere Mutter nach. „Nee“, sage ich, „der ist in so einem kleinen Hippie-Kinderladen.“ „Oh“, raunt es durch den ganzen Raum. Ich sitze vor einer Wand aus besorgten Mienen. „Dann sind die Chancen gleich null.“ Betretenes Schweigen. Wie bin ich hier nur reingeraten? Ich wollte doch nur schnell Sam abgeben und mir dann die Fußnägel lackieren lassen. Aber mein schlechtes Muttergewissen springt sofort an. „Kann man denn da gar nix mehr machen?“, höre ich mich besorgt fragen.
„Na ja, eine kleine Chance gibt es noch: Was macht dein Mann beruflich?“ „PR und so“, stammele ich total verunsichert. Auch das war anscheinend die falsche Antwort. „Nicht gut, ist er wenigstens handwerklich begabt?“ Ich traue es mich kaum zu sagen, aber Marc und ich kriegen uns jedes Mal in die Haare, wenn er nur ein Bild aufhängt. Er sagt, es ist gerade – die Wasserwaage und ich sehen das allerdings anders. Interessanterweise fragt niemand, ob ich handwerklich begabt bin. Aber das Fass mache ich lieber nicht auf. Ich schüttele nur den Kopf.
Anscheinend habe ich das Leben meines Sohnes schon ruiniert. Falscher Job, falsche Hobbys. Filzen statt schminken, Schreiner statt PR. Warum hat mir das denn keiner gesagt?
■ Tanya Neufeldt alias Lucie Marshall schreibt hier über den zauberhaften Wahnsinn, der über uns hereinbricht, wenn frau Kinder bekommt. Vor allem, wenn frau sich an ein unabhängiges Leben gewöhnt hatte. luciemarshall.com