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Billy hat GeburtstagDas demokratische Regal

Billy, das Möbel von Ikea, wird 30 Jahre alt. Warum hat es bloß solchen Erfolg gehabt - und weshalb nimmt die Beliebtheit jetzt ab?

Mit Billy hat Ikea einen Volltreffer erzielt. Bild: reuters

Erfolg lässt sich am besten erklären, wenn er sich eingestellt hat. Im aktuellen Katalog dieser einzig globalen Möbelkette steht ein Satz wie "Ja, nu kan man faktiskt kalla BILLY en klassiker". Das lässt erkennen, dass die Designer dieses Stücks Interieur womöglich selbst nicht damit gerechnet haben, was sie mit diesem Regal schufen: nicht allein ein akzeptables Buchaufbewahrungsstück, sondern über den Namen eine Chiffre für eine Gediegenheit in den bibliothekarischen Ansprüchen, die zugleich Lässigkeit atmet. "Ja, nun kann man tatsächlich BILLY einen Klassiker nennen": Als ob man sich das nicht gedacht hätte.

Nein, das hatte man nicht. Das Einrichtungshaus Ikea sah es vor gut drei Jahrzehnten lediglich darauf ab, auf den Trend zur Zeit zu setzen. Eigentlich war es wie immer: In Älmhult, in der Planungs- und Designabteilung des Mutterhauses in den schwedischen Wäldern Smalands, dort, wo auch all die Geschichten Astrid Lindgrens spielen, erkannte man, dass man es bei der eigenen Kundschaft nicht mehr mit Bauern und deren Einrichtungswünschen zu tun hatte, sondern mit jungen Familien, die auf Vorläufiges gern setzen würden, auf junge Singles, die auf's Intermezzohafteste juvenil sesshaft werden wollten - und also auf Hunderttausende von Studierenden, die ihre Bildungsaspirationen gern über eine Fülle von Büchern ausdrücken wollten.

Es war die Ära der Babyboomer, die auf elterliche Erbstücke nichts gaben oder nichts geben konnten, weil es nichts Dynastisches weiterzugeben zu erwarten gab. Ikea hatte schon Regale im Angebot, aber eines von ihnen hieß Ivar und eignete sich auf den ersten Blick mehr als Aufbewahrungsort für Schlittschuhe im Sommer, Werkzeuge, Luftpumpen und anderen Krams, der aus dem Blickfeld musste. Ivar war nichts zum Zeigen, aber Billy war es sehr wohl. Es hatte ästhetisch nichts als Schlichtheit zu bieten, und das war genau das, was die Kundschaft offenbar wollte. Ein Regal, das den Atem zur Zeit hauchte: Bildung in Form von Büchern, dargeboten in dezent stylishen Regalen - die keinen Schrank abbildeten, sondern Offenheit unterstrichen, Herausnehmbarkeit.

Bild: taz

Diesen Text zum Billy-Geburtstag und vieles andere mehr lesen Sie in der aktuellen sonntaz vom 10./11. Oktober - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.

Goethe, Luhmann, Arendt: Alles sah ähnlich wohllesbar und -gelesen aus, und alles Bücherwerk - von den LPs, die man damals noch hatte, einmal abgesehen - konnte präsentiert werden, ohne dass es altbürgerlich-angeberisch sich ausnahm. Ja, recht eigentlich kam ein Billy erst zur feinsten Geltung, fand man in ihm, beispielsweise, Adorno oder Baudrillard ebenso versammelt wie eine Sammlung der Comics mit den "Peanuts" oder Bildbände, die man in Museumshops erworben hatte.

Billy war der finanzielle Kompromiss zwischen blanken Holzbrettern, auf T-Träger gelegt, der rustikalen Schrankwand und einer Bibliothekswand, wie man sie in Universitätsstädten wie Kopenhagen, Marburg oder Coimbra noch findet, Lesesäle mit sakraler Aura. Das eine war zu piefig, das andere zu aufwändig und teuer. Das bürgerliche Lifestylezertifikat bekam Billy, das anders als schlichte Holzregale gar mit einer Rückwand ausgestattet war, schließlich durch die Information verpasst, dass der Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt auf diese Regale schwöre, wie überhaupt die Redaktion der Zeit mit ihnen ausgerüstet wurde.

Immer noch, die Ikea-Kataloge deuten es an, gibt es dieses Regale, es ist als zentrales Stück in jedem Wohnzimmer weit über die Volljährigkeitsgrenze hinaus im Angebot, und das kann man, außer von Ivar, von keinem anderen Detail im Ikea-Angebot sagen. Billy ist inzwischen auch mehr als allein in Weiß erhältlich, es wird in schwarz und braun gefertigt, auch werden inzwischen Blumenmuster an der Oberfläche angeboten: Darunter ist ohnehin stets das gleiche Pressholz, früher gern "Made in Poland" oder "Made in G.D.R." - der billigen Löhne und günstigen Valutakurse wegen.

Billy hat freilich seinen Nimbus eingebüßt, und das liegt nicht allein an den finanziell gewachsenen Möglichkeiten der neuen wie alten Bildungsbürgerschichten. Diese leisten sich gern von Tischlern passig gefertigte Regalsysteme, solche, die an der Decke enden - als seien sie Teile der Wand. Das Ikea-Angebot wirkt dagegen wie ein Provisorium, unfertig, stets etwas ungelenk und wackelig, und dies auch, weil für Fertigregale alle gleich sind, die dazugehörenden Wände aber nicht; persönlich angefertigte Bibliotheken sind den Wänden angepasst. Es sieht schöner, ja, erwachsener, unstudentoider aus.

Ohne Beflissenheitstick

Aber die fallende Billy-Popularitätskurve mag auch damit zu tun haben, dass Studierende heute nicht mehr diesen Beflissenheitstick haben. Diese Signalwut, die dauernd herausstellen will, auch des Lesens und Bibliothekarisierens mächtig zu sein - eine Bildungsgeschichte herzuzeigen. Professoren sagen dies: Studenten lesen heute wahrscheinlich nicht weniger als einst, aber dies mannigfaltig mehr über kopierten Lesestoff, über öffentliche Bibliotheksexemplare oder über Angebote im Internet, etwa über Wikipedia oder andere Informationssysteme. Es fehle, so sagen viele, an der Lust, Standardwerke zu haben, Grundlagenlektüren oder Klassikersammlungen. Was man hat, ist wenig - und dafür braucht es keine Regalsysteme mehr.

Insofern scheinen alle Mühen der Ikea-Produktentwickler, Billy mit Glastüren oder anderen Scheinnützlichkeiten zu versehen, wie ein Auflehnen gegen die Kraft der Zeit. Billy ist das, was Schrankwände dereinst waren: Altmodisch und nur unter bestimmten, nicht allen Bedingungen ein must have. Dass es zur Demokratisierung der Aufbewahrung von Büchern und anderen Bildungsstoffen beitrug, bleibt diesem Accessoire unbenommen. Ein Glückwunsch also zum Dreißigsten, was sonst?

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16 Kommentare

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  • W
    wuff

    Man bekommt immer soviel, wie man bezahlt, da stimmt doch das Verhältnis.

    Ich kenne übrigens nicht viele Leute, die kein Billy haben, quer durch alle Schichten, insofern ist Billy Teil der Gesellschaft und auch wert, beschrieben zu werden.

     

    Und, Peterle: Um sich täglich aufzuregen, gibt es doch einfachere und bessere Methoden, als die Taz zu kaufen.

  • F
    fhirsch

    Für den Preis gibt's kaum was Besseres; schon gar nicht im Baumarkt. Die Dinger halten bei mir schon 10 Jahre (haben auch schon mehrere Umzüge überlebt). Schade finde ich, dass es die 60cm-Variante nicht mehr gibt. Die Glastüren sind super, wenn man will, dass die Bücher nicht einstauben.

    Aber es stimmt schon: Irgendwie zeigt man durch Billy-Regale, dass man noch nicht richtig etabliert ist. Aber Regale vom Schreiner machen eigentlich auch nur dann Sinn, wenn man wirklich sesshaft geworden ist.

  • P
    Peter

    Wo hat BILLY denn bitte Kultstatus erreicht außerhalb der PR-Abteilung von IKEA?

     

    Das ist ein billigstes Bücherregal GANZ OHNE DESIGN!!! Es ist geradezu lächerlich, das als Kult zu bezeichnen. Ich würde es mir niemals kaufen, denn identische Qualität gibt's auch im Baumarkt für weniger Geld.

  • KK
    Klaus Kaiser

    Wieso eigentlich 30 Jahre? Vor 30 Jahren hat mein Nachbar laut aufgeschrien, weil Billy aus dem Sortiment genommen wurde. Damals fand ich Billy langweilig. Inzwischen habe ich ein paar Bücher mehr als früher und "Sten" ist inzwischen selbst aus dem Keller verschwunden. Aber "Billy" wechselt ab und zu die Farbe und "meine" Farbe ist out. Kein Grund zum Feiern.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Billy_(Regalsystem)

  • V
    vic

    Leute nun seid mal nicht so spaßfrei.

    Das Ding hat eben gewissen Kultstatus erlangt.

    (Ich hatte übrigends nie eins)

    Lieber lese ich einen Geburtstags-Artikel über Billy als einen weiteren Science-Reality-Horrorbericht über diese unsere Regierung.

  • P
    Peter

    Wie gekauft ist dieser Artikel denn bitte?

     

    Ein bisschen kostenlose Werbung für IKEA, einen äußerst sympathischen Weltkonzern der, ähnlich NOKIA, profitable deutsche Werke schließt?

     

    Ich lese taz eigentlich nur, um mich täglich aufregen zu können. Aber wenn man schon ständig so tut, als sei man wahnsinnig unabhängig und nicht von Kapitalinteressen gelenkt, dann kann man doch auf so was verzichten.

  • B
    Buecherliebhaber

    Expedit ist m.E. eine gute Alternative. Ist chicer und stabiler.

     

    Auch wenn der Trend weg geht finde ich eine Bücherwand immer noch die schönste Deko eines Wohn- oder/und Arbeitszimmers.

  • RS
    Rosa S.

    Warum fällt nun auch die TAZ auf die PR-Strategie von Ikea rein? Erst war es die Zeitschrift Brigitte, die auf das Regal hingewiesen hatte, dann gab es eine IKEA/Brigitte-Gemeinschaftspublikation, die dem Stern beilag. Und dann hat das ARD-Magazin Zapp diese PR-Journalismus-Verknüpfung aufgedeckt und angeprangert.

     

    Nun muss ich auch noch einen Artikel in der TAZ lesen. Nun macht doch nicht ein stinknormales Billig-Holzregal zu einem Kultobjekt. Seid doch bitte nicht so dumm. Ich will wieder relevante Themen lesen, mit mehr journalistischem Anspruch.

     

    Es wird immer beliebiger, immer oberflächerlicher. Immer mehr Lifestyle, überall, nun auch immer häufiger in der TAZ. Wo bleibt euer Alleinstellungsmerkmal in der nivellierten Presselandschaft?

  • C
    costello

    Herzlichen Glückwunsch?

    Eher herzliches Beileid. Wurden noch vor 20 Jahren viele Ikea-Produkte in Osteuropa hergestellt, so finden sich heute die Hinweise "hergestellt in der Volksrepublik China"auf den Produkten. Vergleicht man alte Billyregale mit neuen, fällt die schlechte Qualität der Spanplatten ins Auge: Mehr Leim-, weniger Holzanteil – somit kürzere Haltbarkeit. Ikea produziert in diesem Fall für eine Wegwerfgesellschaft, für die Nachhaltigkeit ein Fremdwort ist.

  • AC
    ab cd

    Selber schuld, wer sich diesen Formaldehyd-(-ersatz-)spanplattenschrott ins Zimmer stellt

  • V
    vic

    Wow.

    Erst feiert die taz 30.Geburtstag, dann Titanic, jetzt Billy.

    Wäre ein gutes Jahr geworden ohne die verf***** Bundestagswahl.

  • G
    Gelegenheitsleser

    Unser ältestes Billy dürfte jetzt auch fünf Jahre auf dem Buckel haben. Einen kürzlichen Umzug hat es gut überstanden. Aber kein Vergleich mit Ivar... die ältesten Teile sind inzwischen deutlich über dreißig Jahre alt und versehen immer noch brav ihren Dienst. So "schrottig" können die Ikea-Regale also gar nicht sein.

     

    Leider sind viele andere Teile des Programms wesentlich kurzlebiger und bei so manchen Teilen habe ich mich schon ziemlich über fehlende Nachkaufmöglichkeiten geärgert, von Gläsern über Türgriffe bis zu Schränken.

  • I
    iBot

    Auch wenn's der größte Schrott ist: WIE kriegt man ein Bücherregal in zwei Monaten kaputt?

     

    (Mein Billy hält übrigens auch schon diverse Jahre.)

  • O
    okay

    @Long John: Das muß dann aber an der nicht sachgemäßen nutzung gelegen haben. Wir haben 6 Billys im Hause und die älteren haben inzwischen 8 Jahre auf Buckel.

  • M
    mawa

    Mein ältestes Billy lebt nun schon seit gut fünf Jahren. Allerdings machen sich Alterungserscheinungen bemerkbar. Ärgerlich finde ich, dass mit der Konstruktionsänderung, mit der die sichtbaren Schrauben verschwanden, auch die Rückwand dünner wurde, so dass ich beim letzten Aufbauen prompt ein Loch in mein neuestes Billy gehauen habe.

  • LJ
    Long John

    Es gibt einen ganz einfachen Grund warum die Billy Regale nicht mehr so beliebt sind: Die Dinger sind Schrott. Ich hab mir vor zwei Jahren mal eins gekauft und es hat gerade mal zwei Monate gehalten.