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Biller Papers 4Fragen an den Psychologischen Weltkongress: Eine Kritik "in Progress" zu Maxim Billers neuem Roman "Biografie"Der Oberganef aus Buczacz

Soli aber weiß, was er kann. Er weiß, dass in ihm Romane stecken, auch ein so dickes Ding, wie der Leser es in der Hand hält

Maxim Biller kann schrei­ben. Mein Gott, und wie“, hat Daniel Kehlmann für seinen Blurb auf der Rückseite gedichtet. Klingt wie aus einem Heinz-Rühmann-Film, stimmt aber. Biller kann schreiben, und zwar ganze Sätze, von denen jeder selber eine kleine Geschichte erzählt. Davon gibt es in diesem Buch also sehr viele, wenn man bedenkt, dass es 900 Seiten hat.

Ich habe die Hundertermarke eben erreicht, und ich weiß: Ich werde bis zum Ende weiterlesen. Dieser Roman macht Spaß, ist intelligent, kennt keinen Gott und hat vor nichts Angst. Er bedient sich sehr künstlicher, drehbuchartig zugespitzter Figuren, die aber trotzdem nachvollziehbar für genauso denkbare Menschen stehen, mit unklaren Beweggründen, unkontrollierbaren Gefühlen, und Sehnsüchten, die sie selbst nicht kennen: Psychologie. So was gibt es in der deutschen Gegenwartsliteratur nicht so oft.

„Biografie“ handelt vom Millionärssohn Noah Forlani und dem Schriftsteller Soli Karubiner, der uns als Ich-Erzähler mitnimmt auf die Reise dieser beiden Männer im besten, also schlimmsten Alter. Sie müssen sich endgültig von ihrer libidinös befeuerten Jugend verabschieden, am Horizont lauert der Tod und also das Nichts.

Wo wollen sie hin? Nach Buczacz, das heute in der Ukraine liegt und bei Biller als das Jerusalem des Ostens erscheint. „Schloimel Forlani, der Oberganef, war aus Buczacz. Mein Großvater, der Vater von Wowa, dem Familien-Stalin, kam aus Buczacz. Agnon kam aus Buczacz, Simon Wiesenthal war aus Buczacz. Wir alle waren Buczaczer, in unseren Köpfen ratterten die Räder noch schneller als bei anderen Juden, aber wir konnten auch ganz gut mit dem Schwanz denken. Waren wir am Ende alle miteinander verwandt? Noah und ich bestimmt. Wir liebten uns mehr als Brüder, und ich fand, wir sollten einmal zusammen nach Buczacz fahren, das würde Klarheit in unsere Beziehung bringen.“

Noah Forlani wird geliebt, weswegen er sein ererbtes Geld hemmungslos in unsinnigen Projekten verjubelt, während sein Freund Soli Karubiner, wie Noah meint, von seinem ehemaligen tschechischen Parteischriftsteller- und Staatssicherheitsvater nicht geliebt wird. Im Gegensatz zu Noah weiß Soli aber, was er will und was er kann. Er weiß, dass in ihm soundso viele Romane stecken, unter anderem ein so dickes Ding, wie der Leser es in der Hand hält. Aber das hilft nicht über die fundamentale philosophische Unbehaustheit hinweg, die ihn nach einer peinlichen Affäre in der Dusche der Elstar-Sauna befällt.

Fasziniert und angeregt von einem „unglaublichen weißen Arsch, wie ich ihn hier nie zuvor gesehen hatte“, fasst sich der Erzähler zwischen die Beine, doch da dreht sich die bewunderte Madame um. Die Polizei kommt, ein Erpresser macht eine Falschaussage zugunsten des Schriftstellers. Der Mann hat einen Roman in der Schublade, den er mit Hilfe des exhibitionistischen Autors veröffentlicht sehen will.

Diese beschämende, peinliche und absurde Begebenheit ist für den schadenfrohen Leser lustig, weil man sich gut in sie hineinversetzen kann. Auch wenn Biller jeden Anflug eines metaphysischen Gedankens von sich weist, ist dieser komische Moment im Roman doch Anlass, sich grundsätzliche Gedanken über das Leben zu machen: „Was spürte ich, wenn ich an die Elstar-Sauna dachte? Nichts Metphysisches, eher eine kindliche Beklemmung, eine Art theatralische Todesangst. Und plötzlich hatte ich auch noch andere Fragen an den Psychologischen Weltkongress: Werden wir von unserer Umgebung zu dem gemacht, was wir vorher nicht waren? Bilden wir uns den Horror niemals bloß ein? Leben wir in einer Welt, die wir überhaupt nicht kennen? Dreimal ja, lautete meine Antwort.“

Biller kann nicht nur schreiben, er hat auch Humor. Schreiben können ohne Humor, ein warmes Herz und eine traurige Seele, das braucht ja nun auch keiner, und ohne Humor ließe sich das dreifache Ja auch nicht aushalten. Bin gespannt, wie es weitergeht. Ulrich Gutmair

Dirk Knipphals ist verhindert. Ulrich Gutmair übernimmt nun die Biller Papers.

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