Bildung: Lehrer werden ist nicht schwer
Weil keine ausgebildeten Pädagogen aufzutreiben waren, übernimmt eine Germanistin eine Pankower Grundschulklasse. Gleichzeitig bekommen viele Junglehrer keinen Job.
Seit dieser Woche haben 27 Kinder der Pankower Homer-Grundschule eine neue Klassenleiterin. Sie wird die Stammgruppe der Erst- und Zweitklässler bis zu den Sommerferien Mitte Juli zusammen unterrichten. Was die Schüler nicht wissen: Ihre neue Klassenleiterin ist gar keine ausgebildete Lehrerin. Sie hat zwar einen Hochschulabschluss, aber nicht in Pädagogik, sondern in Germanistik. "Von allen Interessentinnen passte sie am besten", ist die schlichte, aber einleuchtende Begründung des Schulleiters Uwe Blachnik zur Einstellung der fachfremden Kraft.
Das Schulgesetz gibt dem engagierten Direktor recht: Quereinsteiger dürfen seit Schuljahresbeginn vertretungsweise eingesetzt werden. Nun ist aber ausgerechnet das jahrgangsübergreifende Lernen in der fusionierten Klassenstufe eins und zwei, "JüL", wie es abgekürzt heißt, ein hochsensibles Thema im Berliner Schulleben. Der rot-rote Senat und Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) halten JüL für ein zukunftsweisendes pädagogisches Konzept und wollen es an allen 400 Berliner Grundschulen einführen. Nach lautstarken Protesten der Schulen werden 69 Prozent der Grundschulen das Konzept umsetzen, die restlichen müssen sich in nächster Zeit dafür entscheiden.
Schulleiter und Elternvertreter verweisen immer wieder auf den Mangel an entsprechend ausgebildeten Lehrkräften. Denn um fünf- bis siebenjährige Kinder gemeinsam zu unterrichten, müssen die Lehrenden wissen, wie man Schüler mit immensen Leistungsunterschieden individuell fördert; "binnendifferenzierter Unterricht" heißt das in der Fachsprache. Eine entsprechende pädagogische Ausbildung wäre da nicht schlecht.
Die Eltern und Lehrer an der Homer-Schule sehen das anders. Die Frage nach der beruflichen Qualifikation der Vertretungslehrerin wollen sie am liebsten beiseitelassen. "Sie hat einen Hochschulabschluss und fühlt sich der Aufgabe gewachsen", meint Blachnik. Schließlich komme es beim Lehrerberuf nicht nur auf Fachwissen, sondern auch auf Talent an. "Das können auch 20 Semesterwochenstunden im Studium nicht ersetzen."
Die Elternvertreterin Sabine Gehm befürchtet, dass die Neubesetzung aus fachlichen Gründen wieder rückgängig gemacht werden könnte. "Wir wollen uns das nicht kaputt machen lassen", meint sie.
Es hatte lange gedauert, überhaupt einen Ersatz für die Lehrerin der Kinder zu finden, die wegen Krankheit für längere Zeit ausgefallen war. Erfolglos hatte der Schulleiter im Vertretungslehrerpool gesurft, den die Bildungsverwaltung im September vergangenen Jahres eingerichtet hatte. "Von den 2.200 Leuten, die dort gelistet sind, ist faktisch keiner verfügbar", beklagt Blachnik.
Die Elternvertreter schalteten schließlich in Absprache mit dem Direktor auf eigene Kosten eine Anzeige. Das Geld für das Gehalt der Aushilfskraft bezahlt die Schule. Lieber als eine neue Vertretung wäre Blachnik aber ein größeres Kollegium, damit sich die Lehrer untereinander vertreten können.
Das jedoch ist im Landeshaushalt nicht drin. Aktuell bildet Berlin zwar 1.700 Lehrer aus, doch ihre Aussichten sind schlecht, die Wartelisten sind lang, und der Senat stellt kaum neue Lehrer ein. Die Bildungsverwaltung plant derzeit mit gerade mal 44 neuen Junglehrern zum Start des Schuljahrs 2008/09. "Von den Schulen wissen wir aber, dass der Bedarf viel höher ist", berichtet Matthias Jähne, der die Lehramtsanwärter bei der GEW betreut. "Viele Absolventen orientieren sich schon in andere Bundesländer. Mit Aushilfsjobs ist ihnen nicht geholfen."
Diese Erfahrung machte auch Schulleiter Blachnik. "Viele tun sich das nicht an, zu warten, bis hier in Berlin eine Stelle frei wird. Wenn sie nicht sofort eingestellt werden, sind sie weg." Für kurzfristig Erkrankte sei dann kaum Ersatz aufzutreiben. Also hat die Homer-Schule bereits eine eigene Vertretungsliste aufgestellt, etwa neun Leute stehen schon darauf. Die umliegenden Schulen haben ebenfalls eigene Personalkarteien eingerichtet. "Wir tauschen die Adressen untereinander aus", sagt Blachnik. Auch jetzt nimmt die Homer-Grundschule formlose Bewerbungen für Quereinsteiger an. Hauptkriterium ist ein Uniabschluss.
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