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BildungEltern drohen mit Ausstieg

Eltern autistischer Kinder üben heftige Kritik an der neuen Inklusionsdebatte von Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD)

Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) mit SchulanfängerInnen Bild: DAPD

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) will zwar das Inklusionskonzept zur Integration behinderter Kinder in Regelschulen neu diskutieren, aber sie beteiligt immer noch nicht alle Betroffenen. So lautet die Kritik des Vereins Elternzentrum Berlin, ein Zusammenschluss bildungspolitisch engagierter Eltern von autistischen Kindern.

Anfang des Jahres hatte Scheeres angekündigt, noch einmal über das von ihrem Vorgänger Jürgen Zöllner (SPD) erarbeitete Inklusionskonzept diskutieren zu wollen. Der Grund: Viele betroffene Gruppen seien an der Entwicklung des Konzepts nicht beteiligt worden, so die Senatorin damals im taz-Interview. Es sei daran „viel Kritik geäußert worden, die ich ernst nehme“.

Nun beklagt das Elternzentrum Berlin, die neue Zusammensetzung des entsprechenden Beirates sei die alte: Sie bestehe mehrheitlich aus VertreterInnen von Verwaltung und Politik. Von einer „Mitnahme aller am Prozess Beteiligten, wie es einst versprochen war“, könne keine Rede sein. Auch das Elternzentrum selbst werde nach wie vor nicht einbezogen. Künftig werde man deshalb Angebote, in Arbeitsgruppen mitzuwirken, nicht mehr annehmen: „Unsere Ressourcen sind zu wertvoll, als dass wir weiter an Alibiveranstaltungen teilnehmen wollen“, heißt es in einer am Montag veröffentlichten Pressemitteilung.

Enorme bauliche Kosten

Auch der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Jürgen Schneider, sieht Probleme auf Berlin zukommen, wenn es darum geht, die Inklusion behinderter Kinder ins Regelschulsystem umzusetzen – ein Prinzip, das auf Beschlüssen der Vereinten Nationen fußt. Schneiders jüngster Tätigkeitsbericht fasst unter anderem zusammen, was die Bezirke an baulichen Kosten erwarten, um alle Schulen inklusionsfähig zu machen. Selbst Gebäude neueren Datums seien häufig nicht für SchülerInnen mit Behinderungen konzipiert. Auch bei der Personalausstattung sieht der Landesbeauftragte Probleme. Die begrenzte Lehrerzahl schränke die Förderung behinderter Kinder ein: „Das an vielen Stellen durchaus ambitionierte Inklusionskonzept scheint sich auch durch das Gebot der Kostenneutralität bei einigen wichtigen inhaltlichen Zielsetzungen seiner eigenen Grundlagen zu berauben“, heißt es in Schneiders Bericht.

Dass Inklusion nicht kostenneutral zu haben sei, hatte auch Scheeres bei ihrer Kritik am alten Konzept angemerkt. Zur aktuellen Kritik der Eltern will sich die Bildungsverwaltung nicht äußern. Inoffiziell ist aber zu hören, die Neudiskussion sei ein offener Prozess – und dessen Erfolg wolle man nicht gefährden, indem man sich jetzt mit den Betroffenen beharke.

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6 Kommentare

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  • SL
    Stephie Loos

    Wir möchten uns eine kleine Korrektur erlauben und sagen parallel Danke an Frau Wierth!

    Korrektur von:

    "So lautet die Kritik des Vereins Elternzentrum Berlin, ein Zusammenschluss bildungspolitisch engagierter Eltern von autistischen Kindern."

     

    in:

    "So lautet die Kritik des Vereins Elternzentrum Berlin - Autismus und andere tiefgreifende Entwicklungsstörungen, welches in einem und in Zusammenarbeit mit einem großen Netzwerk vieler bildungspolitisch engagierter Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung agiert."

     

    Es ist für uns nicht nachvollziehbar, warum nicht zunächst die tagtäglichen immer größer werdenden Stolpersteine des immer starrer werdenden Systems beseitigt werden, bevor man sehr weit weg der Realitaet einen nicht offenen Prozess startet. Die Erfahrungen derer im alltäglichen heutigen System würden weit mehr bewegen als jenes was nun angelaufen ist.

    Ein sehr deutlicher und ganz frischer Beleg, dass man es nicht ernst meint, ist der neue "Leitfaden zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs an Berliner Schulen" der in den vergangenen Tagen von der Bildungsverwaltung veröffentlicht wurde. Dort heisst es gleich zu Beginn in der Einleitung:

    "Der vorliegende Leitfaden ist das Ergebnis der Arbeit einer Arbeitsgruppe unter Leitung des Referats II D „Grundsatzangelegenheiten Grundschule, Sonderpädagogik, Integration, Inklusion“ in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft zur Weiterentwicklung des Systems der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs im Land Berlin."

     

    Aha schönes Ergebnis ohne die um die es geht, die Menschen mit Behinderung und ihre Vertreter, trotz einer Verpflichtung des Landes Berlin, ergebend aus der UN-BRK Art. 4 Pkt.3

  • AB
    Andea Bröker

    Doch, das kann die Allgemeinheit tragen und sie muss es auch. Die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft ist ein Recht, das jedem Menschen zusteht, egal ob und welche Behinderung vorliegt.

     

    Aber wie an Andreas' Kommentar deutlich zu lesen ist, sind die Barrieren in den Köpfen noch wesentlich größere Hindernisse als die derzeit noch nicht genügend zur Verfügung stehenden pekuniären Mittel etc. um die Inklusion zu verwirklichen.

     

    Übrigens: Behinderung kann jeden treffen, sei es durch einen Unfall, eine Krankheit, bei einem selbst oder bei einem nahen Angehörigen.

  • SA
    Sabine, Asperger-Autistin

    Wir sollen dafür bezahlen, dass uns die Gesellschaft inkludiert? Wenn ich so etwas lese, frage ich mich, ob ich in eine Gesellschaft, die eine solche (diskriminierende) Meinung vertritt, überhaupt inkludiert werden möchte.

  • T
    Thomas

    DieHerren in Berlin sollten weniger Geld in Ihr Monetenmassengrab Flughafen stecken und es besser in die Förderung der Kinder (behindert oder nicht) stecken. Hier sieht man wieder mal das Prestigeobjekte wichtiger sind als die Wähler.

  • A
    Andreas

    Da muß man aber die Kirche ein bißchen im Dorf lassen. Wenn es zuviel kostet geht das nicht. Oder die Menschen mit Behinderungen bzw. ihre Eltern zahlen es. Wollen die das? Können die das? Nicht alles was sich Verbände wünschen kann die Allgemeinheit bezahlen. Soll sie auch nicht.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Inklusion ist angeborenes Menschenrecht

    Niemand darf auf Grund einer Behinderung benachteiligt werden,so steht es Artikel 3,Absatz 3 des Grundgesetzes-

    Ohne wenn und aber ist die Inklusion um zu setzen.Diese gilt für alle.ohne Ausnahme.