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Bildung von Vorurteilen

■ betr.: "Frau aus Heppingen wollte in die Presse", "Blut und Rosen" (Ute Scheub), taz vom 27.4.90

betr.: „Frau aus Heppingen wollte in die Presse“, „Blut und Rosen“ (Ute Scheub),

taz vom 27.4.90

Herzlichen Glückwunsch! Es wurde auch Zeit, endlich einmal mit den um mehr Menschlichkeit bemühten Reformbemühungen einer neuen Psychiatergeneration gründlich aufzuräumen. Jetzt wissen wir endlich wieder, daß der Verrückte nicht ein individuell zu würdigender Mitbürger oder Nachbar sein kann, der mit seiner durch Krankheit beeinträchtigten Lebensweise ein schweres Schicksal zu tragen hat. Nein, nach Lektüre Ihres Artikels ist nicht nur dem Bildzeitungsleser klargeworden, daß es sich bei der „verrückten“ Attentäterin um ein gesellschaftlich gesteuertes Exekutionsinstrument kollektiver, im deutschen Vereinigungswahn verdrängter Aggressionen handelt.

Und, wer psychisch Kranken gegenüber noch keine Möglichkeit zur Bildung von Vorurteilen hatte, dem haben Sie die Arbeit erleichtert, indem er jetzt weiß, daß die „psychotische Weltsicht“ offenbar die Steierung zu einer „reaktionär vernagelten“ darstellt.

Dürfen wir uns auch in Zukunft mit der Bitte um Ihre minutenschnelle Problemanalyse und -lösung im Falle psychische Kranker an Sie wenden und uns damit die mitunter über Jahre sich erstreckenden Bemühungen um Verständnis und Beziehungsaufnahme zu dem jeweiligen Individuum ersparen?

Rüdiger Kaiser, Berlin

(...) Wo werden die Frauengruppen sein, die diese Frau jetzt nicht ungeschützt der Macht überlassen werden und sich mit ihr solidarisieren, das sie nicht still und medienverbraucht in einer „Klapse“ auf ewig verschwindet? Was ist mit den von ihr geäußerten Beweggründen wirklich los? Wäre es „neu“, daß hier und heute Menschen weltweit „verschwinden“ beziehungsweise psychiatrisiert und mißbraucht werden und dieses Wissen darüber, allseits verdrängt wird und es erst eine Frau „medienwirksam“ inszenieren muß, wohl aus eigener Leiderfahrung heraus?

An diese Frau wird es keine „Schuldzuweisung“ geben können. Wir alle sind mitschuldig, die Machtmißbrauch zulassen. (...)

Peter Baumann, Diez

Es kommt wohl der Sensationslust der Masse entgegen, wie Frau Streidels seelischer Zustand in den Medien zerpflücken wird, noch bevor sie richtig vernommen beziehungsweise psychologisch untersucht wurde. Kaum dringen die ersten Fetzen über ihre Person an die Öffentlichkeit, wird fleißig herumspekuliert; jede(r) versucht sich in psychologischen Erklärungen für ihre unmißverständliche Tat, wobei „Irre“, „Geistesgestörte“ und „psychisch Kranke“ ein und dasselbe zu sein scheinen.

Die Verbindung Frau mit Männerangst - Lebemann Oskar (welch glückliche Fügung, daß es nicht Johannes Rau erwischt hat), gibt dabei natürlich eine Menge her! Daß sich irgendein Käseblatt darauf stürzen und sich in ach so offensichtlichen pseudopsychoanalytischen Erklärungsmustern ergehen würde, hatte ich erwartet - allerdings nicht von Euch!

Birgit Gunsenheimer, Würzburg

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