■ „Bild“ kämpft für IHN: „Die geile Chefin ist der Urwunsch“
Der neue Boss ist eine Frau. Eine, die weiß, was sie will. Sie will Tom. Nach Dienstschluß bittet sie ihn in ihr Büro und faßt ihm gegen seinen Willen in die Hose. Das ist das Szenario des Hollywoodfilms „Enthüllung“. Auch im Theaterstück „Oleanna“ von David Mamet ist der Mann das unschuldige Opfer. Eine Studentin unterstellt ihrem Prof zu Unrecht Zudringlichkeit und ruiniert ihn damit. Das skrupellose Weib, es lauert überall.
Das wußte Bild schon immer und hängte sich an den Trend. „Jeder fünfte Mann wird sexuell belästigt!“ titelte das Blatt im Januar triumphierend und zog dafür einen Uralt-Forschungsbericht von 1990 aus der Schublade. Laut dieser Studie der Sozialforschungsstelle Dortmund im Auftrag des Bonner Familienministeriums hätten 19 Prozent von 1.690 befragten Männern „ausführlich von selbsterlebten sexuellen Belästigungen im Betrieb“ berichtet.
Eine glatte Bild-Lüge. Denn von den 1.690 an Männer ausgeteilten Fragebögen wurden nur 265 beantwortet – eine nicht repräsentative Minderheit. Zwar berichtete darin jeder Fünfte von selbsterlebter sexueller Belästigung, aber nur 15 Prozent der Männer reagierten darauf „angeekelt“. 31 Prozent blieben „unbeeindruckt“, der Rest empfand die Anmache schlicht als „überraschend“.
„Der Artikel ist im typischen Boulevardstil verzerrt“, ärgert sich die Frauenforscherin Bärbel Meschkutat von der Sozialforschungsstelle Dortmund, „es ging in der Studie keineswegs schwerpunktmäßig über Männer, sondern um die sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz“. Solche Artikel prägen nach Meschkutats Meinung ein falsches Bild: „Im klassischen Fall sind immer noch Frauen die Opfer.“
„Vom ewigen Busengrabscher hat der Leser doch die Nase voll!“ verteidigt Bernd Schumacher, Chefreporter bei Bild-Hamburg, den Artikel. „Eine Geschichte muß knallen, und so 'ne geile Chefin, das ist doch der Urwunsch jeden Mannes!“ Schumacher räumt zwar ein, daß es mehr Frauen als Männer sind, die am Arbeitsplatz sexuell belästigt werden: „Die meisten Chefs sind Männer, und Macht gehört zur Anmache nun mal dazu“. Doch zieht er die „Minderheitsvariante“ dem „ausgelutschten Klischee“ vor. „Das Thema befriedigt einfach den voyeuristischen Drang von Männern. Ich jedenfalls würde mich freuen, wenn sich eine meiner Kolleginnen mal eine Herz nehmen würde für sowas“, meint Headline-Hunter Schumacher. Bild habe sogar eine Serie zum „sexuellen Opfer Mann“ in Planung gehabt, erzählt er, die „wegen Erfolglosigkeit“ entfiel. Es fanden sich einfach keine sexuell belästigten Männer.
Die Frau als Täterin, der Mann als Opfer, ein Rollentausch mit Kalkül, glaubt die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt München, Barbara Höhne. „Das Patriarchat schlägt zurück“, sagt sie, immer werden die eigentlichen Opfer zu Täterinnen gestempelt“. Reine Ablenkung, so Höhne: „Alle Untersuchungen zeigen: Männer sind die Täter. Basta!“
Auch Heide Langguth vom DGB sieht eine Gegenkampagne. „Gerade jetzt, wo zum Glück Frauen langsam lernen, sich gegen männliche Dominanz und Benachteiligung zur Wehr zu setzen, werden in den Medien diese Bilder entworfen“, wettert die Fachfrau. Allerdings räumt sie ein, daß es „sicher Ausnahmefälle“ von sexueller Belästigung von Frauen gegenüber Männern gebe. Diesen Begriff aber gleichzusetzen, sei „völlig unzulässig“. Langguth: „Frauen sind ihr ganzes Leben lang von Männern physisch bedroht, das kann man umgekehrt nicht behaupten.“ Gisa Funck/
Michael Backmund
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