Bilanz eines politischen Scheiterns: "Ich will mich nicht verbiegen"
Die ehemalige Bremer CDU-Landesvorsitzende Rita Mohr-Lüllmann über ihren Ausstieg aus der Politik, Unterschiede zu Angela Merkel und die Zukunft ihrer Partei
taz: Alle Parteiämter in Bremen haben Sie abgegeben. Nun sitzen Sie auch nicht mehr im Parlament. Sind sie politik- oder nur parteiverdrossen, Frau Mohr-Lüllmann?
Rita Mohr-Lüllmann: Ich habe mein Bürgerschaftsmandat zurückgegeben, weil ich keine Mehrheit für mein Positionen und Überzeugungen in der Fraktion gesehen habe.
Aber warum saßen sie dann nach ihrem Rücktritt als CDU-Landesvorsitzende überhaupt noch im Parlament?
Das musste reiflich überlegt werden. Ich bin ja von den Bürgern gewählt worden, nicht von den Funktionsträgern. Und es haben sich viele Menschen an mich gewandt, die sagten: Sie müssen bleiben.
55, ist promovierte Apothekerin und seit 2001 Mitglied der CDU. 2003 wurde sie in die Bremische Bürgerschaft gewählt. Als Direktkandidatin für den Deutschen Bundestag war sie 2009 dem Gewinn eines Direktmandats so nah wie nie zuvor ein CDU-Kandidat in Bremen. Mit ihr als Spitzenkandidatin bei der letzten Landtagswahl fiel die CDU jedoch hinter die Grünen zurück und erreichte nur noch 20 Prozent der Stimmen. Dennoch setzte Mohr-Lüllmann sich 2011 bei der Mitgliederbefragung deutlich gegen ihren Kontrahenten und Fraktionschef Thomas Röwekamp durch. Im Oktober 2012 trat sie als Landesvorsitzende, im Dezember als Abgeordnete zurück.
Muss man aufgeben, weil man keine Mehrheit hat?
Es haben etliche Mitglieder der Fraktion meinen Rücktritt gefordert. Da muss man sich schon überlegen, welche Chancen es gibt, die eigenen Positionen noch durchzusetzen und ob eine konstruktive Zusammenarbeit überhaupt noch möglich ist. Mir ging es darum, die CDU aus einer Funktionärs- in eine Mitgliederpartei weiterzuentwickeln. Das ist eine prinzipielle Frage: Auf welche Art und Weise werden Entscheidungen getroffen? Die Fraktion würde es ja ohne Partei nicht geben, sie wird von ihr getragen. Derzeit wird die Basis der CDU nicht mit einbezogen. Im Gegenteil, die Mitgliederbefragung über den Landesvorsitz ist in keinster Weise respektiert worden. Ich vermisse aber auch, dass die Mitglieder der CDU ihre Rechte einfordern.
Vielleicht wollen manche in der CDU lieber geführt werden, als mitreden.
Dann fragt man sich, ob die CDU je die Chance hat, mehr Wähler zu erreichen.
Ging es in diesem Streit in der CDU je um Positionen?
Ja, um die Frage, ob die CDU den Funktionären überlassen wird. Mein Eintreten für die direkte Beteiligung der Mitglieder, für die Abschaffung des Delegiertenparteitages, für die Begrenzung der Dauer von Mandatszeiten – all das ist nicht akzeptiert worden. Die CDU braucht neuen Schwung, neue Personen. Ich bin gewählt worden, weil ich eine Quereinsteigerin war und nicht die typische Politiker-Karriere gemacht habe.
Darf man Fraktionschef Thomas Röwekamp alleine die CDU überlassen?
Man muss sehen, wie viele Chancen es gibt, der Fraktionsspitze etwas entgegenzusetzen. Dazu brauchen sie Mehrheiten. Ich will mich nicht bis zur Unkenntlichkeit verbiegen.
Treten Sie nun also auch aus der CDU aus?
Ich bleibe auf jeden Fall ein Fan von Angela Merkel. Die Frage, ob ich den Landesverband der CDU weiter mit einer Mitgliedschaft unterstütze, ist aber noch zu klären. Das Demokratieverständnis hier finde ich jedenfalls sehr bedenklich. In Bremen-Nord etwa hat eine führende Funktionsträgerin der CDU ein Dokument zerrissen, auf dem Unterschriften für eine Mitgliederbefragung zur Besetzung von Listenplatz 1 bei der Bundestagswahl standen. Mit Absicht. Das hat mich wahnsinnig geärgert. Und so lange so etwas passiert, sehe ich mich außerstande, die Bremer CDU zu unterstützen.
War es ein Fehler, dass Sie in den Bundestag einziehen wollten?
Für meine politische Karriere: Ja. Dennoch würde ich immer wieder so handeln. Die CDU hat mir das 2009 zugetraut, ebenso wie die Spitzenkandidatur bei der Bürgerschaftswahl. Ich sah keinen Grund, warum dieses Vertrauen nicht erneut gerechtfertigt sein könnte.
Hätte ein Machtwort des scheidenden Mandatsinhabers und einstigen Parteichefs Bernd Neumann Sie gerettet?
Das glaube ich nicht. Er ist heute als Kulturstaatsminister doch sehr weit weg vom Landesverband. Die Mitglieder hätten sich aber mehr einmischen können.
Einige in der CDU sagen, Röwekamp und die seinen haben Sie „weg gemobbt“. Sehen Sie das selbst auch so?
In Bremerhaven fiel gleich zu Beginn meiner Amtszeit als Landesvorsitzende der Satz: „Die überlebt kein Jahr.“ Da war mir klar, dass es ein schwerer Weg wird. Andererseits sollte ich zwischenzeitlich unterschreiben, dass ich 2015 in Bremen als Spitzenkandidatin antrete – und dafür die Kandidatur für Berlin fallen lasse. Als ich das ablehnte, wurde mir im Weser-Kurier der Fraktionsvorsitz angetragen. Und als ich das auch ablehnte, folgte sofort die nächste Eskalationsstufe.
Gehen mussten Sie, weil sie gesagt haben sollen, in der CDU Bremerhaven gäbe es „kriminelle Machenschaften“. Wäre dieser Vorwurf so falsch?
Das ist gar nicht mein Vokabular. Dieser Satz ist nie gefallen. Und selbst wenn, wäre das kein Rücktrittsgrund. Aber die Mehrheiten gegen mich waren eindeutig.
An ihrem Ziel, die CDU zu einen, sind Sie also offenkundig gescheitert.
Ich konnte auf meinem Weg nicht alle mitnehmen, das ist richtig. Eine Öffnung der Partei zu den Mitgliedern macht den Funktionsträgern Angst, sie könnten an Macht verlieren. Das ist meine Erkenntnis.
...die einen nicht so richtig überraschen kann, oder?
Ja. Aber die Zukunft einer Volkspartei liegt nicht darin, dass ein kleiner Kreis von Funktionären die Entscheidungen trifft.
Ist die Bremer CDU überhaupt noch eine Volkspartei?
Ja. Die Grundsätze im Programm sprechen da für sich – es geht ja nicht nur darum, wie viele Leute in einer Stadt die CDU wählen, entscheidend ist, dass wir offen für Interessen und Bedürfnisse vieler Menschen sind. Aber wenn demokratische Verfahren so sehr in Kämpfe und Verachtung münden, ist das schädlich für eine Partei. Und dass der Streit hier so hart ausgetragen wurde, ist bedenklich.
Jetzt haben sie nicht nur Amt und Mandat niedergelegt, sondern auch ihren Facebook-Account gelöscht und die Website leer geräumt. Steigen Sie ganz aus der Politik aus?
Mein politisches Engagement in der CDU ist ja offenkundig nicht erwünscht. Im Moment habe ich keine Neigung, mich da weiter einzusetzen. Und wer sich sonst überlegt, sich ehrenamtlich in der Bremer CDU zu engagieren, wird sich jetzt fragen: Muss ich mir das antun? Das ist fatal.
Haben Sie schon mal über einen Parteiwechsel nachgedacht?
Ich bin und bleibe CDU-Frau.
Angela Merkel hat sich gegen die Männer in der CDU am Ende durchgesetzt. Was hat Frau Merkel, was Sie nicht haben?
Sie ist keine Seiteneinsteigerin.
Hätten Sie eine JU-Geschichte, so wäre alles anders gewesen?
Vielleicht hätte ich dann die Instrumente, die man nutzen muss, um oben zu bleiben, besser gekannt. Aber ich bin ja nicht angetreten, um für mich Positionen zu sichern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers