Bilanz der Mauterhöhung: Weniger Verkehr, mehr Geld
Bis zu 20 Prozent weniger Lkws wurden im ersten Halbjahr auf deutschen Autobahnen registriert. Eine Erweiterung der Straßenmaut wird weiter herausgezögert.
BERLIN taz | Nachdem es auf deutschen Straßen in den vergangenen Jahren immer voller und voller geworden war, hat der Lkw-Verkehr im ersten Halbjahr 2009 deutlich abgenommen. So waren im April 20 Prozent weniger Brummis unterwegs als ein Jahr zuvor. Im Juni betrug das Minus immerhin noch 14 Prozent.
Ursache ist eindeutig die Wirtschaftskrise; schließlich stehen auch bei der Bahn gegenwärtig 35.000 Waggons ungenutzt herum. Doch die Spediteure garnieren ihre Klagen stets auch mit einem Lamento über die Mauterhöhung, die zum Jahreswechsel in Kraft getreten ist.
Seither werden pro Autobahnkilometer für Laster durchschnittlich 16,3 Cent fällig, während es vorher 13,5 Cent waren. Dabei sind die Tarife für uralte Dreckschleudern besonders deutlich angehoben worden und betragen nun knapp 29 Cent, während die große Masse der Lkw pro Kilometer 14 oder 15,5 Cent abdrücken muss.
Obwohl weniger auf der Straße transportiert wird, sammelt Toll Collect aufgrund der Mauterhöhung monatlich 50 bis 70 Millionen mehr ein als vor einem Jahr. Geht es im zweiten Halbjahr so weiter wie bisher, kommen bis Silvester gut 4,3 Milliarden Euro in die Kasse.
Allerdings hatte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) fest mit 5 Milliarden Euro gerechnet und daraufhin 36 neue Straßenbaustellen versprochen - zusätzlich zu dem Geldsegen, den das Konjunkturpaket der Straßenbaulobby beschert hatte. Die Betreibergesellschaft Toll Collect stört das sinkende Verkehrsaufkommen nicht: Sie kassiert auf jeden Fall 360 Millionen Euro pro Jahr.
Abzüglich der Unterhaltskosten für das System muss die Maut nach bisheriger Rechtslage vollständig für den Bau oder für Reparaturen von Verkehrswegen ausgegeben werden. Dabei legt das Gesetz fest, dass etwa die Hälfte des Geldes in den Straßenbau fließen, 38 Prozent für Schienen und der Rest für Wasserstraßen verbaut werden muss. Die Folgekosten von Unfällen, Staus, Gebäudeschäden und Lärmerkrankungen trägt dagegen die Allgemeinheit.
Das will das EU-Parlament ändern und hat im Frühjahr dieses Jahres einen entsprechenden Entschluss verabschiedet. Doch mehrere EU-Verkehrsminister setzen auf eine Verzögerung. "Hier sind Millionen von Jobs direkt oder indirekt betroffen. Angesichts der wirtschaftlichen Lage müssen wir mit neuen Belastungen für den Güterverkehr sehr vorsichtig sein", warnt auch Wolfgang Tiefensee.
Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft hat das Thema bisher ebenfalls nicht aufgegriffen. So könnte eine entsprechende Regelung frühestens 2012 kommen - und auch dann wäre sie für die Mitgliedsländer noch nicht einmal verpflichtend.
Eine Ausweitung der Maut auf Kleinlaster oder gar Pkws gilt in Deutschland sowieso als Tabu. Auch Bundesstraßen sollen nur dann in das System mit eingebunden werden, wenn ein Land nachweist, dass viele Laster die Straße als Ausweichstrecke nutzen, und einen entsprechenden Antrag stellt. Zurzeit müssen Laster auf zwei Strecken bei Hamburg sowie auf der B 9 im deutsch-französischen Grenzgebiet Mautgebühren bezahlen.
Dagegen hat sich die französische Regierung vor kurzem entschieden, dass alle Wagen mit mehr als 3,5 Tonnen Gewicht ab 2011 auf allen großen Straßen Nutzungsgebühren zahlen müssen. In Tschechien gilt eine entsprechende Regelung sogar schon ab dem kommendem Jahr.
Keine Bewegung gibt es auch beim Schiedsverfahren zwischen Toll Collect und dem Verkehrsministerium. Die 16 Monate verspätete Einführung des Mautsystems hat dem Staat in den Jahren 2003 und 2004 immerhin Einnahmeausfälle von 3,5 Milliarden beschert. Auch die vertraglich vereinbarten Strafe in Höhe von 1,6 Milliarden Euro ist noch nicht geflossen.
Seit Herbst 2004 beschäftigt sich ein geheim tagendes, aus drei Professoren bestehendes Gremium mit dem Fall. Vor 2010 werde es aber zu keinem Beschluss kommen, sagt Sven Ulbrich, Sprecher des Verkehrsministeriums. Er bestätigt außerdem, dass das Verfahren bereits heute 54 Millionen Euro verschlungen habe - für Gutachter, Rechtsanwälte und Berater. "Wir gehen allerdings davon aus, dass diese Kosten letztlich die gegnerischen Parteien zu tragen haben", sagt Tiefensees Sprecher.
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