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Archiv-Artikel

Bier auf der Straße

In Westafrika werden Hits nach anderen Gesetzen gemacht als in Europa: Etwa von den DJs in der „Rue des Princesses“, der Amüsiermeile von Abidjan

Seit knapp zwei Jahren tönt aus den Boxen nur noch eine Musik: Zouglou

VON HAKEEM JIMO

Diese 300 Meter entscheiden über Hit oder Flop. Die zweispurige Straße heißt „Rue Princesses“. Prinzessinnen flanieren hier aber weniger, eher schon leichte Mädchen. Doch darum geht es hier nicht wirklich. Es geht um Musik und um Bier.

Die „Rue des Princesses“ liegt im Vorort Yopougon der Millionenmetropole Abidjan und ist die größte Amüsiermeile der Elfenbeinküste. Rechts und links der Straße reihen sich Bars, so genannte Maquis. Ein „Maquis“ ist nicht einfach nur eine Bar: Es ist Musik-Club, Biergarten, Imbiss und Trinkhalle in einem. Die „Maquis“ tragen Namen wie „Ministerium der Freude“, „die Macht“, „Metro“, „Lokomotive“ oder „kleines Fahrrad“ und variieren je nach Größe, aber das System ist immer gleich: Ein großes Dach schützt die Theke und einen Teil der Plastikstühle, auf denen mehrere hundert Gäste Platz finden, vor der Regenzeit. Riesige Bottiche werden mit Eisblöcken und Bierflaschen gefüllt, denn Kühlschränke sind zu unpraktisch und Kühlräume zu teuer. Kaltes Bier gibt es trotzdem nicht. Weil der Ansturm meist zu groß ist, kommt das Bier nur lauwarm auf die kleinen Holztische.

In jedem „Maquis“ stehen die gleichen Plastikstühle, wird das gleiche Bier ausgeschenkt. Unterscheiden können sich die „Maquis“ nur durch den Namen und die Musik. Darum stehen in jedem „Maquis“ mannshohe Lautsprecher. Der Lärm ist ohrenbetäubender als in einer Diskothek, obwohl alles unter offenem Himmel stattfindet: Zu richtigen Gesprächen kommt es nicht, Mobiltelefone klingeln hilflos ungehört vor sich hin.

In jedem Laden legt ein anderer DJ auf. In Abidjan muss ein DJ allerdings mehr können, als Platten nur gekonnt zusammenzufahren. Hier muss er auch singen oder die Songs mit eigenen Einlagen variieren. Meist nehmen die DJs das Grundmuster eines populären Songs auf, den Refrain etwa, und reichern andere Lieder damit an, ähnlich wie beim HipHop-Freestyle. Wenn die Musik gut ist, springen die Leute auf und tanzen vor ihrem Bier. Wenn die Musik nicht zum spontanen Tanzen animiert, wird weiter Bier getrunken.

Seit knapp zwei Jahren spielt in fast allen „Maquis“ nahezu nur noch eine Musik: Zouglou. An manchen Ecken schallt zwar noch R’n’B und HipHop aus den Boxen. Doch seit dem Hit „Premier Gaou“ der Band Magic System hat Zouglou den Durchbruch geschafft. Und damit die Musik aus dem Kongo verdrängt, die bis dahin dominierte. Zouglou wird fast ausschließlich in dem nur in der Elfenbeinküste gebräuchlichen Dialekt Noutchi gesungen, einer Art Pidgin-Französisch. Doch heute hören viele frankofone Westafrikaner lieber Zouglou als die Stars aus dem Kongo wie Koffi Olomide.

Der Trend speist sich aus zwei Richtungen: Einerseits werden im Ausland, vor allem in Paris, immer wieder neue Songs und Ideen kreiert, die sich in der alten Heimat durchsetzen. Andererseits leben auch genug Musiker in der Elfenbeinküste, und dort vor allem in Abidjan. Auch wenn Paris, das nur sechs Flugstunden entfernt ist, noch immer den Ton angibt, so gibt es auch genug professionelle Studios und Vermarkter vor Ort.

Vor allem die Vermarktung eines Künstlers gilt in Afrika als schwieriges Geschäft. Digitale Technologie hat die Piraterie zum Massenphänomen werden lassen: Ungeniert verkaufen fliegende Händler in kleinen Holzverschlägen ihre selbst gebrannten CDs, meist eine Zusammenstellung aktueller Hits.

Zwar wacht in der Elfenbeinküste eine Behörde über den Schutz der Autorenrechte. Allerdings kümmert sie sich vor allem um die Gebühren von kommerziellen Nutzern wie Radiostationen oder Restaurants. Private Käufer werden selten belangt, darum bleibt auch der Verkauf von Raubkopien auf der Straße unbehelligt.

So bleiben Live-Auftritte für die meisten Musiker die einzige Möglichkeit, mit ihrer Musik Geld zu verdienen. Der besseren Gagen und der besseren Studios wegen zieht es die meisten Musiker Westafrikas, die es sich leisten können, irgendwann ins Ausland, vorzugsweise nach Paris. Aber für den Erfolg bleibt der Kontakt zur Heimat unerlässlich. Denn Musik wie der „Zouglou“ lebt vom Rhythmus der Straße.