■ Bewegungsmelder: De Zoch kütt an de Spree
Dat Hääz jeht auf. Ach, et is richtisch schön. Endlich ist die Welle auch nach Berlin geschwappt. Letztes Jahr war es ja noch etwas künstlich. Aber diesmal! Richtig in die vollen. Was machen Exil-Bonner am 11.11. in Berlin? Sie feiern Karneval in der rheinischen Kneipe mitten im künftigen Regierungsviertel – so schön, wie es in Bonn nie war. Denn kaum haben sich die Türen der „Ständigen Vertretung“ — genannt StäV — hinter einem geschlossen, is dat dröge Berlin vergessen. Die rheinische Missionierung der Diaspora hat begonnen.
„Dä Charly“ ist eigens aus der Ex-Hauptstadt angereist und macht die Mussick. Charly ist ein Weltklassemusiker: Bläck Föös, De Höhner, BAP – hat er alles im Repertoire auf seinen 101 CDs. Den mausgrauen Pulli hat er pünktlich um 11.11 Uhr gegen ein glitzerblaues Jackett mit rosa Revers ausgetauscht.
Mit „Mer losse d'r Dom en Kölle“ schunkeln sich alle der fünften Jahreszeit entgegen. Das ältere Ehepaar an der Theke ist kräftig dabei. Landsleute? Von wegen! Jedes Jahr fahren die beiden Berliner zum Rosenmontag nach Köln. Den echten Karneval, den kann man in Berlin nicht nachahmen. Aber in der StäV, finden sie, ist es genauso schön wie sonst in Köln.
Das zweite Kölsch bringt auch preußische Contenance zum Einsturz. Schnell den Lippenstift zücken, und schon wird aus dem Rechtsanwalt der Karnevalsjeck mit Herzchen auf der Backe. Freigegeben zum Abbützen, sprich für einen echten rheinischen Schmatzer. Hie und da werden Handys gezückt, damit auch die lieben Bonner daheim ein bißchen Atmo aus Berlin mitkriegen: „Hörst du das? Ich bin hier in Berlin!“
Bonn-Berliner Verständigung haben sich die beiden Bonner Kneipenwirte der „Ständigen Vertretung“ auf die Fahnen geschrieben. So liegen denn auf allen Tischen Zettel mit Noten rheinischer Karnevalslieder aus: „Drink doch eine met“ und „Einmol em Johr“ samt Text. Gott, wäre das in Bonn peinlich. Aber für die Berliner, das hat Wirt Harald Grunert schlau erkannt, „is dat ja wie Englisch“. Sein Kompagnon Friedel Drautzburg hat sich längst aus dem Staub gemacht. Der Bonner Promi-Wirt hat kein Hääz für Karneval.
Rheinischer Karneval, das wird die neue Volks-, ach was: Massenbewegung in Berlin werden. 10.000 Bonner Beamte rücken an, von den Berliner Karnevalsgesellschaften strahlend empfangen. Langgehegte Träume werden war: Rosenmontagszug auf dem Ku'damm, Kamelle schmeißen, Polizisten bützen. In zwei bis drei Jahren, schätzt Grunert, ist es soweit. Das Berliner WDR-Büro wird live übertragen.
Die meisten Bonner Beamten sind aber gar keine Rheinländer. Viele flüchten an den freien Karnevalstagen in den Schnee zum Skifahren. Und Beamte sind doch sowieso dröge ohne Ende. Ach was! Alles janz ejal. Hauptsache, de Zoch kütt an de Spree. Miesepitter, wer von „regionaler Tradition“ spricht. Dat wird vom Tisch jewischt – mit einem dreimal Berlin Alaaf! Et Jutta
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