■ Betrachtungen live aus Norderney, Strandkorb 105A: Wenn einer eine Sandburg schippt ...
Zuerst hatte es wirklich so ausgesehen, als wären Sandburgen in dieser Saison aus der Mode gekommen. Keine Sandwälle, die Strandkörbe am Norderneyer Nordstrand boten einen wunderschönen freien Blick aufs Meer. „Die Leute lernen eben dazu“, hatte mein Angetrauter noch philosophiert und sich in unserem vorbestellten Strandkorb mit der Nummer 105A gerekelt. „Wenn alle eine Burg bauen, wird es für jeden eng. Wenn aber keiner damit anfängt, hat jeder mehr Platz. Das ist gesellschaftliche Vernunft.“
Von wegen. Mit der Nummer 336A fing es an, den Bremern rechts vorne am Wasser. Der Strand hatte sich in den Tagen davor bedrohlich gefüllt, und eines Morgens war die Bremer Mutter mit der neuen Schaufel angerückt. Eine von diesen riesigen Schippen, deren Zweck einzig und allein in der Territoriumsgewinnung besteht.
„Geht das nicht auf den Rücken?“ hatte ich noch scheinheilig gefragt, während die Mutter den Familienwall aufschüttete. „Wir finden's ja auch überflüssig, aber es ist wegen der Kinder.“ Der Nachwuchs spielte derweil weit draußen im Ebbesand. Der Anblick der Bremerin erinnerte mich daran, wie es geht: Erst eine unauffällige Kreislinie ziehen und dann mit dem Aufhäufeln beginnen. Kein Mensch weiß, warum die Burgen am Ende immer größer ausfallen als vom Nachbarn erwartet.
Das mit den Bremern ging noch, weil sie ein Stückchen weiter weg residierten. Doch dann ging es los mit den Bottropern direkt nebenan, der 626A. „Es ist wegen Opa“, sagte der Vater und zog bedrohlich nahe die Grundlinie. „Der ist das von früher so gewohnt.“ Das war nicht mal gelogen. Können wir jetzt doch Opa bewundern, wie er allmorgendlich den Sandwall sorgfältig mit Wasser beträufelt und glättet. Ein Wimpel ist längst aufgesteckt, ein Muschelmosaik gelegt. Je schöner die Burg, desto intensiver die Pflege. Ein bißchen ist es im Urlaub doch immer wie zu Hause.
Deswegen sieht der Strand jetzt auch aus wie nach einem Bombenangriff: Jeder erkämpft sich eilig das eigene Urlaubsrevier. Die 231A und die 420A keilen uns erbarmungslos ein. Nicht mal mein Strandlaken kann ich mehr ausbreiten, ohne unwillentlich auf des Nachbarn Territorium zu geraten. Die BundesgenossInnen sind nach und nach umgefallen. Selbst die barbusige Dunkelhaarige, die bewundernswerterweise noch nicht mal einen Strandkorb gemietet hat, fing gestern an, um ihr Handtuch herum eine Ringmauer aufzuschütten. Die Burgnachbarn aber grüßen sich jeden Morgen fröhlicher und vertrauter.
„Auch wir müssen uns jetzt abgrenzen.“ Weg mit den Einwänden des Angetrauten! Ich will auch noch was vom Urlaub haben. Morgen kaufe ich die Schippe. Es geht nicht anders. Barbara Dribbusch
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