: Betr.: "Tötungsverbot und Wert des Lebens", taz vom 2.10.93, LeserInnenbriefe dazu, taz vom 14.10.93
[...] Ich halte Singers Beiträge zu moralphilosophischen und medizinethischen Fragen für geistreich, wichtig und diskutabel. Damit werde auch ich von wütenden Leserbrief- (und gelegentlich Leitartikel-)Schreibern als Behindertenfeind und Faschist diffamiert. „Eine betroffene Schwerstbehinderte“ schreibt in der taz: „Ich will nicht mit meinem Mörder über mein Lebensrecht diskutieren.“ Wie kommt diese Person dazu, mich als Mörder zu bezeichnen?
Sie hat natürlich Singer (über den sie eine Diplomarbeit schreibt) überhaupt nicht verstanden, denn nach der Ethik, die Singer vorschlägt, ist sie (wie jeder, der an der Diskussion teilnimmt) eine Person und hat damit sogar ein besonders ausgezeichnetes Lebensrecht. Ich sollte also vielleicht darüber hinwegsehen, daß Leute, die sich nicht auskennen, mich diffamieren.
Ich sollte vielleicht auch auf eine weitere Befassung mit den in Frage kommenden ethischen Problemen einfach verzichten, weil sich, wenn auch zu Unrecht, viele Menschen, insbesondere Behinderte, durch die Diskussion dieser Probleme in ihrem Lebensrecht bedroht sehen. Jedoch sind die Probleme, um die es geht, natürlich wirklich interessant und sollten diskutiert werden: Kann Sterbehilfe erlaubt oder gar geboten sein? Wenn ein Unfallopfer in einem Autowrack verbrennt und ein Zeuge ihn erschießt, ist das dann moralisch verwerflich, oder ist es verwerflicher, ihn brennen zu lassen? Warum? Wenn es erlaubt ist abzutreiben, warum hatte dann der Fötus kein Lebensrecht?
Was mich stört und wütend macht, ist die Art, wie in Deutschland (leider auch in taz-Artikeln) gegen Singer Stimmung gemacht wird, indem panisch behauptet wird, er bereite den systematischen Mord an Behinderten vor. Damit wird Behinderten angst gemacht. Wir müssen etwas tun, nicht gegen Peter Singer, sondern gegen diejenigen, die als falsche Freunde der Behinderten auftreten und dabei verantwortlich dafür sind, daß diese Behinderten völlig zu Unrecht fürchten, ihr Leben stünde auf dem Spiel. Olaf Brill,
ein betroffener Philosoph
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