: Betr.: "Kontrollierte Eskalation in Bosnien" u.a., taz vom 1./2.3.94
[...] Mittlerweile scheinen alle Bemühungen, den Konflikt von seinen Ursachen her zu erklären, restlos aufgegeben; nachdem monatelang der Serbe als Völkermörder gebrandmarkt wurde (mit dem milden Zusatz, der Kroate sei auch nicht ohne), wird uns endlich die Idee serviert, KSZE, UNO und wer sonst noch bei der Lösung „mitgeholfen“ hat, habe versagt, eine Tatsache, die spätestens seit dem Sommer 1992 bekannt sein dürfte.
Damit, liebe taz, legitimierst Du das Vorgehen dieser Organe, auch und gerade weil Du es kritisierst, täglich neu im Detail, und das auf eine Weise, die deutlich werden läßt, daß Bosnien schon „unser“ ist, zumindest im Geiste. Wie Du das mit Deinem Anspruch vereinbaren willst, eine alternative Zeitung sein zu wollen, ist durchaus schleierhaft.
Immer mehr drängt sich der Funktionscharakter dieses Krieges für uns als Kultur- und Industrienation auf: endlich wieder ein Feindbild, der halbzivilisierte Serbe, der aus dem liberalen, blockfreien Sozialismus, dem Vielvölkerstaat Jugoslawien, vorsätzlich ausbrach um skrupellos seine jahrhundertealten Feinde metzeln zu können, wie gut, daß ich kein Pharisäer bin.
Wie gut, ein Zerrbild der eigenen, unaufgearbeiteten Vergangenheit zu haben, das weit genug weg ist, um diese optimal verdrängen zu können.
Ist es uns denn noch nie aufgefallen, wie sehr wir diesen endlosen Krieg brauchen? Daß es ungemein spannend ist, die Unzulänglichkeit der uns beherrschenden Institutionen am blutigen Operationstisch zu demonstrieren und damit jegliche Hoffnung der betroffenen Menschenleben mit Füßen zu treten? Daß das wieder ein Rückzug in die Kuschelecke der Krittelei ist, mit dem bedauerlichen Schulterzucken: wir sind machtlos, uns trift keine Schuld? Constanze Lasson, Hamburg
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