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die stimme der kritikBetr.: Plastinationen auf der Love Parade in Berlin

Unsere Leichen raven noch

Entgegen falschen Ansichten und haltlosen Behauptungen ist die Berliner Love Parade toll und auch immer wieder für die eine oder andere Überraschung gut. Illuster die Liste derer, die hoch auf den Wägelchen einen Hauch von irgendwas verströmten: Exbürgermeister Diepgen, die Leute vom Marienhof, Manu, Jürgen, Alex, John und Jona von der unvergessenen ersten Big-Brother-Staffel sowie der unvergessene Gotthilf Fischer waren Teil der größten Partydrogenparty der Welt.

In diesem Jahr nun hat sich Professor von Hagens angesagt. „Professor Hagens war unser Steuermann. / Aus hielt er, bis er das Ufer gewann. / Er hat uns gerettet, er trägt die Kron. / Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.“ Schnief und Spaß beiseite: Er lebt ja. Professor Dr. med. Gunther von Hagens, Herr der Leichen und Plastinate, Freund der Erlebnisanatomie, viel gerühmter Erfinder einer „revolutionären Präparationstechnik, die das Wasser der Gewebeflüssigkeit durch spezielle Kunststoffe ersetzt. Ergebnis sind trockene und geruchsfreie Präparate!“, die seit fast einem Jahr unter dem Titel „Körperwelten – Faszination des Echten“ in Berlin ausgestellt sind und schon 7,4 Millionen Besucher erfreut haben. Der Professor wird mit zehn Plastinierten an der Love Parade teilnehmen, ließ der Professor mitteilen. Leichen auf der Love Parade – superknallerballaballa! „Die Lebendigkeit wird wie in der Ausstellung im Vordergrund stehen. Da erlebt sich der Besucher im Spiegel des lebhaften Plastinats. Auf der Love Parade erleben sich die Menschen durch Bewegung – auch eine Art von Erlebnisanatomie.“ Von Hagens möchte Raver fotografieren, um sie demnächst als Leichen zu modellieren.

Zunächst war an einen Leichen verachtenden Fake zu denken. Die Pressemitteilung war schließlich auch von einem Pressesprecher namens „Rathgeb“ verfasst worden. Es handelt sich aber sozusagen um eine zynische Simulation zweiter Ordnung: Auf Anfrage bestätigte die Körperwelt die Richtigkeit der Mitteilung – man habe nur was falsch verstanden. Das aber könne nach allen Regeln der Textsinnforschung nicht falsch verstanden werden. Denn bei den Plastinierten handele es sich um Lebendige, die nur so gestaltet wären, als seien sie tot.

Ein toller Reklamegag, der sein Ziel nicht verfehlte. Gehen Sie nicht in diese Ausstellung! Gehen Sie nicht direkt dorthin! Meiden Sie Gunther von Hagens! Anders als seine lustigen Leichen ist er nicht geruchsneutral! Join the Love Republic! Yo! Oder so.

DETLEF KUHLBRODT

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