Besuch beim Splash-Festival: Ironie ohne Identitätsverlust
Beim Splash-Festival in Bitterfeld präsentierten sich HipHop-Idole als austauschbare Witzfiguren und Nachwuchskünstler als stilsichere Originale.
Wie riesige stählerne Insekten stehen die Greifarme von Ferropolis in der Landschaft. Schon von der kilometerweit entfernten Landstraße aus sind die Kohlebagger durch den Dauerregen hindurch zu erkennen. Und deuten mit ihrer Fischer-Technik-Ästhetik an, dass nicht nur das Splash-Festival nach neuen Richtungen sucht, sondern auch HipHop insgesamt.
In den USA sorgte im laufenden Jahr Eminems neues Album "Relapse" noch für den größten Wirbel - obwohl seine Provo-Tour seit Jahren unverändert ist. Es fehlt grundsätzlich an neuen Richtungen innerhalb des Genres. Und an integren Künstlern, die den Weg weisen könnten. Die Splash-Organisatoren setzen neben klassischen HipHop-Acts deshalb zunehmend auf solche, die in Richtung Dancefloor gehen. So wie die US-Amerikanerin Santigold, die am frühen Freitagabend vor vergleichsweise spärlichem Publikum im grünen Glitzeranzug auf der Bühne steht. Ihre Mischung aus Rockgitarren, schnellen Electro-Instrumentals und HipHop-Attitüde mag aus der Konserve zuweilen aufgesetzt klingen - durch ihre glockenhelle Stimme und überragende Bühnenpräsenz ergibt sie aber Sinn: Spaß haben, tanzen und dabei ganz nebenbei die Grenzen einer inzwischen doch arg starren Musikkultur zu verschieben, Santigolds Botschaft könnte die Zukunft des HipHop sichern. Noch steht der Mainstream nicht hinter Künstlern wie Santigold - obwohl ihretwegen extra Leute wie der 21-jährige Daniel zum Festival gekommen sind. Er hebt sich schon optisch vom Rest des Publikums ab: Stirnband, enge Hosen, Neonfarbenes Blouson, Riesensonnenbrille. "Sooo geil", schreit er, auf und ab springend. Christian aus Kassel ist so ziemlich genau sein Gegenstück, im weiten Joker-Pulli, mit Baggypants und millimeterkurzen Haaren. Electro-Rap? Er wischt die Frage mit der Hand weg, als würde er eine Fliege verscheuchen. Diejenigen, die wie er auf Oldschool stehen, auf Beats und Raps, werden natürlich trotzdem vom Line-up des Splash-Festival bedient.
Allerdings mit einem stark abgespeckten Programm: Der New Yorker Mos Def ist lieber zu Hause geblieben. Das war schon vor Festivalbeginn bekannt. Am Samstag kommt aber die Nachricht, dass auch der charismatische und besonders in Europa verehrte New Yorker Ex-A-Tribe-Called-Quest-Rapper Q-Tip fehlt. Eingeweihte sagen, das sei schon Tage vorher klar gewesen, und sehen in der intransparenten Kommunikation einen Grund dafür, dass das Splash-Festival an Publikum einbüßt. Gingen Anfang des Jahrzehnts weit über 20.000 und letztes Jahr immerhin noch 15.000 Karten im Vorverkauf weg, sollen es dieses Jahr gerade mal 7.000 gewesen sein - insgesamt dürfte die Zahl der Besucher immer noch weit unter 10.000 liegen. Anstelle von Mos Def tritt am Freitagabend immerhin Talib Kweli auf, der mit Doppelreim-Gewittern und musikalischem Geschichtsunterricht vor allem die Hardcore-HipHop-Fans direkt vor der Bühne ohne Identitätsverlust reicht. Sie beherrschen ohnehin alle Texte auswendig.
Dieses Jahr wurden die Favoriten ihrer Rolle nicht gerecht: die Hamburger Party-Animals Deichkind etwa. Statt klassischem HipHop bieten sie Elektro mit Sprechgesang, nichts Schlechtes an sich. Aber Neonanzüge und Gummiboote als Utensilien der Show können eine ernstgemeinte künstlerische Identität nicht ersetzen. Die WuTang-Clan-Mitglieder Method Man und Redman - Headliner des Festivals - ziehen zwar die Massen an. Aber ihre Show und ihre stereotypen Gesten offenbaren, dass beide ihre besten Zeiten hinter sich haben. Den Auftritt des Wochenendes legen dagegen vier junge Berliner hin, die HipHop-Nerds und tätowierte Kickboxer gleichermaßen begeistern. Bislang warten K.I.Z. noch auf den kommerziellen Durchbruch. Äußerlich unspektakulär in weiten Hosen und T-Shirts, brüllen die drei Rapper am Samstag ihre oft doppelbödigen und subversiven, aber nie beliebigen oder kalkulierten Texte mit Hingabe und Charme ins Publikum. Sofort entsteht vor der Bühne Gepoge und Euphorie. K.I.Z. zeigen, worauf es ankommt: über den Tellerrand blicken und trotzdem nicht krampfhaft das Bezugssystem HipHop verlassen wollen. Ironie ohne Identitätsverlust. Bitte nachmachen.
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