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Besuch aus Ankara: Warten auf Godot

Enttäuschung unter deutschen Türken über Ergebnisse des Besuchs der türkischen Regierungschefin  ■ Von Zafer Senoçak

Deutschlands Türken, allen voran ihre Medien und Organisationen, hatten die Erwartungen hochgeschraubt. Nachdem türkische Reaktionen auf den Brandanschlag in Solingen und fortdauernde Übergriffe auf türkische Bürger in Deutschland von den meisten als zu zaghaft und zurückhaltend empfunden wurden, hoffte man nun darauf, daß die agile Ministerpräsidentin Ciller den korpulenten und in Sachfragen etwas schwerbeweglichen Kanzler, bei ihrem Besuch auf Trab bringen würde. Forderungskataloge wurden ausgearbeitet und der Regierung in Ankara übermittelt.

Nun herrscht eher Katzenjammer. In den deutschen Medien war der Besuch von Tansu Ciller in Bonn und Berlin keinen Aufmacher wert, ja, er wurde fast unter „ferner liefen“ abgebucht. Auf eine öffentliche Erklärung des Bundeskanzlers nach seinem Gespräch mit Frau Ciller wartete man vergeblich. Er eilte nach Paris, zu Mitterrand. Von den eher mager ausgefallenen konkreten Ergebnissen der Begegnung Kohl-Ciller ausgehend, ist die geringe Beachtung dieses Besuchs in der deutschen Presse zu verstehen, nicht jedoch von der Warte von zwei Millionen Türken aus, die in Deutschland leben. Wie lange wollen deutsche Medien eigentlich noch die Anwesenheit dieser Minderheit und die Bedeutung, die daraus für ihre Medienpolitik erwächst, ignorieren?

Die türkischen Organisationen in Berlin seien enttäuscht, daß sich Frau Ciller wenig Zeit für sie genommen habe, hieß es in der Berliner Presse. Die Blauäugigkeit dieser Verbände nimmt schon groteske Gestalt an. Jahrelang hatte man in ähnlich wunschfrommer Weise von der deutschen Regierung Handeln in Sachen Ausländerpolitik erwartet.

Nun richten sich die Erwartungen verstärkt an die türkische Regierung. Man erwartet von Ankara Druck auf die Bundesregierung, vor allem in der Staatsbürgerfrage, aber auch, was konkrete deutsch- türkische Projekte, wie die Gründung eines gemeinsamen Jugendwerkes angeht. Es wird sogar die Forderung nach einem Ministerium für die Belange der Auslandstürken erhoben.

Eine schizophrene Situation: Man fühlt sich zwar als Deutsch- Türke, aber vertreten lassen will man sich dann schon eher von der Türkei. Daran ist nicht zuletzt die deutsche Politik mitverantwortlich, die immer noch nicht begriffen hat, daß es vorrangig ihre Aufgabe ist, die Interessen jener Menschen, die sich in Deutschland auf Dauer niedergelassen haben, zu vertreten, unabhängig von ihrer Herkunft.

Blauäugig aber bleibt die Erwartung, die Türkei, die in einer der schwierigsten Krise seit ihrer Gründung steckt, hätte gegenüber Deutschland außenpolitisch viel Spielraum, um die Interessen ihrer Bürger in Deutschland stärker zu vertreten.

Die Türkei hat in erster Linie wirtschaftliche Interessen, Deutschland auch. In die eigene Innenpolitik wollen sich beide Staaten nicht hineinreden lassen. Das trifft sich gut. Man klammert einfach Menschenrechtsfragen und Fragen von lästigen Minderheiten so gut wie möglich aus und schließt Joint-ventures im mittelasiatischen Kasachstan ab.

Wenn die Türken in Deutschland nicht mehr als Gastarbeiter und Manövriermasse zwischen der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland behandelt werden wollen, sondern als mit den Deutschen gleichberechtigte Deutsch- Türken, werden sie früher oder später merken, daß ihre Interessen und Prioritäten nicht unbedingt und immer identisch mit den Interessen der Türkei sind.

„Die ganze Gegend stellen sie voller Türken hin“, meinte vorgestern ein sogenannter „Protestwähler“ aus Hamburg-Wilhelmsburg im Fernsehen. 16 Prozent der Wilhemsburger haben die „Republikaner“ gewählt. Bei der Ursachenforschung (die mittlerweile die Formen einer Ursachenmanie annimmt) im deutschen Fernsehen war wieder viel vom Ausländerproblem die Rede, und von hohen Ausländeranteilen.

Die Einschätzung des „Protestwählers“ erscheint angesichts der allgemeinen Borniertheit realistischer zu sein als die Floskel von der „deutsch-türkischen Freundschaft“ aus dem Munde von Politikern. Die deutsch-türkische Zukunft hat sich verdüstert, und ein Klimawechsel scheint nicht in Sicht.

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