„Beseitigung von Pfützen großer Fortschritt“

Beim ersten deutsch-deutschen Umweltkongreß prallten Welten aufeinander: Debatte über Umbau der gesamtdeutschen Chemieindustrie oder der Versuch, bundesdeutsche Idealverhältnisse in der DDR einzuführen / DDR-Ökogruppen waren unterrepräsentiert  ■  Aus Leipzig Ulli Kulke

Der Leipziger Löwe bat zum Kongreß, doch der Löwe selbst blieb vorerst noch in seiner Höhle. „Von den Ökolöwen suchen Sie jemanden? Ich weiß nicht, einen Stand haben die hier jedenfalls nicht“ - mit dieser Antwort mußte sich am vergangenen Wochenende derjenige zufriedengeben, der sich zwischen den diversen Infoständen im Foyer des ersten deutsch-deutschen Ökologiekongresses auf die Suche nach dem Veranstalter (Ost) machte.

Groß genug angelegt und mit der nötigen Fachprominenz aus Ost und West bestückt war die Veranstaltung - durchaus angemessen der immer deutlicheren Forderung nach dem Umwelt -Waggon, der an den Zug aus Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion angehängt werden soll. Doch wer auch immer von einer solchen Union träumt, mußte in Leipzig zur Kenntnis nehmen, daß die Ökoverbände und die unabhängige Umweltforschung in der DDR noch in den Startlöchern stecken, als Lobby nach außen hin kaum sichtbar sind und in ihrer Arbeit mindestens wie die DDR-Staatsbank in Sachen Währungsunion auf westliche Hilfe angewiesen sind. So war der Kongreß Ökosoziale Marktwirtschaft - was ist das?, sowohl Schaudebatte zwischen bundesdeutschen Politikern, Vorstandsmitgliedern der umweltrelevanten Industrie (West) und BRD-Naturschützern, als auch eine Auseinandersetzung mit einer vergleichsweise eher unkritischen DDR-Öffentlichkeit. Viele der 19 Diskussionsforen lauschten jedenfalls nur bundesdeutschen Vordiskutanten und Moderatoren.

Beim zentralen Forum Zukunft der Chemieproduktion eine bizarre Konstellation: Das zum Kurs von 5:1 westdeutsch besetzte Podium mit einer Bandbreite vom Öko-Institut Darmstadt über den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und einem Vertreter des Kieler Umweltministeriums bis immerhin zum Vorstandsmitglied der Bayer AG bemühte sich, das Publikum (5:1 DDR-besetzt) umweltpolitisch zu radikalisieren. Die Chemieindustrie in der DDR dürfe sich unter ökologischen Gesichtspunkten nicht damit zufriedengeben, westdeutsche Zustände anzustreben, nicht das ökologische Hauptziel darin sehen, die Giftlachen auf dem Werksgelände zu beseitigen, durch die man heute waten müsse. Das erboste den Chemiker aus Bitterfeld: „Sie kennen unsere Chemieindustrie gar nicht, Sie wissen gar nicht, was es hieße, wenn wir die Quecksilberpfützen abschaffen würden. Das wäre für uns ein Fortschritt.“

Welten prallten aufeinander. Ausgerechnet von einem Toxikologen aus der DDR mußte sich Bayer-Vorstand Eberhard Weise vorhalten lassen: „Warum wehrt sich eigentlich drüben Ihre Industrie nicht gegen die vielen verleumderischen Dinge in den Medien, ob das die Sendung 'Panorama‘ ist oder sonstwas. Das beste Beispiel war doch Formaldehyd“ - sprach der Giftforscher und gab dem dankbaren Industriellen die Chance zur Erklärung, daß er weder etwas gegen kritischen Journalismus habe noch gegen den Zwang zur Produktion von Ersatzstoffen: „Wir leben doch vom Umbau.“

Der einzige DDRler auf dem Podium, Professor Gerd Zimmermann von der Leipziger Akademie der Wissenschaften, deutete in seinem Beitrag die Haltung zur Chemieindustrie an, die in der überaus belasteten Gegend rund um die Kongreßstadt mit so anrüchigen Namen wie Buna, Leuna oder Bitterfeld vorherrscht. Sie ist am meisten betroffen von den Schubladenplänen zur Schließung von mehreren hundert Betrieben aus Klaus Töpfers Bundesumweltministerium. „Die Umweltsanierung darf nicht auf Kosten des sozialen Friedens gehen“, meinte Zimmermann. Der Imageverlust der Branche sei in Havarien, unsachgemäßem Einsatz in der Landwirtschaft („Hilfsgärtner kommen mit Gebrauchsanweisungen nicht klar“) und unverantwortlicher Produktionsweise begründet - gemeint war die DDR. Wenn all das abgestellt sei, könne man auch mit der künftig benötigten größeren Chemieproduktion leben.

Der Appell des Moderators vom Darmstädter Öko-Institut, Christoph Ewen, es solle doch hier um den Umbau in Ost und West gehen, blieb weitgehend ohne Wirkung. Aber keine Rede von deutsch-deutsch - es ging um die DDR -Chemie. In Ermangelung östlicher chemiekritischer Umweltexperten und aufgrund gegebenen Anstands der westlichen Kritiker blieben den Chemiepromotern volle Breitseiten erspart, als sie sogar noch ihre längst überholten und unbestritten problematischen Produktionsmethoden verteidigen wollten: „Wir brauchen die Elektrolyse zur Chlorproduktion.“ Auch in der Bundesrepublik wird diese Methode noch angewandt, weil der Umbau auf schonendere Anlagen teuer und umweltproblematisch ist. Bayer -Chef Weise bot denn auch an, man könne problemlos Produktionsanlagen für die sauberere Membranmethode anliefern, und Frank Clauss vom BUND versuchte die besorgten DDRler mit rein ökonomischer Argumentation zu überzeugen: Wenn man jetzt die westliche Produktionsweise zum Vorbild nehme, komme man wieder ins Hintertreffen, weil in der Forschung der Chemiekonzerne in der Bundesrepublik längst anderes, auch Umweltschonenderes erdacht sei.

Keine Frage, wer da gedacht hat, mit der deutsch-deutschen Annäherung oder gar der Umweltunion mit einheitlichen Emissionsbestimmungen sei das Schicksal der giftigsten Gegend des Kontinents besiegelt, der freut sich zu früh. Zwar hat nicht nur Töpfer seine Schubladenpläne und kämpft das Leipziger Kabarett Academixer auf seine Weise gegen die Vergifter („Libysche Chemiewaffenfabrik Rabta bleibt dicht, Import von Luft aus Bitterfeld soll Ersatz liefern“). Zwar gehen Wirtschaftsforscher davon aus, daß 90 Prozent der DDR-Chemiebetriebe ohnehin nicht konkurrenzfähig sind und hat das Westberliner „Institut für ökologische Wirtschaftsforschung“ (IÖW) der DDR im März in einem Gutachten radikale Maßnahmen und vielfache Stillegungen empfohlen. Zwar ist es jetzt offiziell, daß die Lebenserwartung in der Region um sechs Jahre unter DDR -Durchschnitt liegt. Doch noch blinkt trotzig hoch über dem Stadtzentrum Leipzigs die Lichtreklame: „VEB-Chemiekombinat Bitterfeld - bedeutender Exportfaktor der DDR-Chemie“ und verspricht man sich vom Spruch „Plaste und Elaste aus Schkopau“ allerorten noch so viel Werbewirksamkeit, daß die Abrüstung wenigstens bei der Reklame noch niemand in Angriff genommen hat.

Es geht um rund 360.000 Beschäftigte in einer Branche, die Opfer des Autarkiewahns des ehemaligen Wirtschaftslenkers im Politbüro, Günter Mittag, waren: Völlig unwirtschaftliche Energie- und Chemieproduktion aus dem Rohstoff, der angeblich unerschöpflich unter dem Lande lag: Braunkohle. Aber schon aufgrund der völlig unprofitablen Ausrichtung auf die Grundstoffchemie - Veredelung findet im Westen statt dürfte der Einstieg in die Renovierung des Raumes Leipzig/Halle nicht lange auf sich warten lassen, auch wenn sie mehrere hundert Milliarden D-Mark kostet. Vergleiche mit dem Umbau des Ruhrgebietes, der sich nun schon Jahrzehnte hinzieht, sind sicher nicht verfehlt.

Bei sich anbahnenden Umwälzungen solcher Dimensionen lügt der, der vorgibt, konkrete Antworten auf die brennenden Fragen in der Tasche zu haben: Was kostet, wer zahlt, wieviele Arbeitslose, was ist mit der Umweltbelastung... Das Bewußtsein darüber war den DDR-Vertretern bei der hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion von Politikern und Umweltschützern vor über tausend Zuhörern am Samstag abend anzumerken: Sie hielten sich weitgehend zurück.

So wurde die Leipziger Umweltdebatte zu einer nach -wahlkampflichen Elefantenrunde der Spitzenökologen aller BRD-Parteien, für deren Redestil Mangel an konkreten Antworten noch nie ein Problem war: Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) („Wir brauchen sofort einheitliche Bestimmungen, damit in der DDR kein Ökorabatt bei Investitionen einreißt, aber Sonderregelungen für Altanlagen“), Harald B. Schäfer („Wir haben ein Umweltprogramm, mit dem jährlich 450.000 Arbeitsplätze in der DDR geschaffen werden“), Freidemokrat Gerhard Baum („Möchte Umweltartikel im Grundgesetz der DDR als Einigungsgeschenk anbieten“) und Eckhard Stratmann („Der Runde Tisch muß in ein Konzept von ökologischer Wirtschaftsdemokratie für die DDR und BRD miteingearbeitet werden“).