Bert Schulz wundert sich über den PR-Hype um einen Nebendarsteller-Preis: Sind wir jetzt alle Oscar?
Es ist meist klirrend kalt in „Bridge of Spies“, jenem Steven-Spielberg-Film über einen Agentenaustausch im Berlin der Mauerzeit. So kalt, dass Hauptdarsteller Tom Hanks – von einer Gruppe Ostberliner Halbwüchsiger seines Mantels beraubt und von der CIA in einer Bruchbude untergebracht – hustet, schnieft, keucht, dass man irgendwann gar nicht mehr hinschauen und -hören will, wie er durchs verschneite Berlin zieht und an der Glienicker Brücke auf den US-Agenten wartet, der über der Sowjetunion abgeschossen wurde.
In wohlig warmem Kontrast dazu stehen die Pressemitteilungen, die am frühen Montag, gleich nach der Awards-Verleihung in Los Angeles, eintrafen. „Oscar-Jubel in der Hauptstadtregion“, verkündete das Medienboard Berlin-Brandenburg. „Ich freue mich, dass Berlin inzwischen oscarreif ist“, ließ der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) wissen. Anlass der Euphorie: Mark Rylance, der in „Bridge of Spies“ den ertappten, unbeugsamen sowjetischen Agenten spielt, hat den Oscar als bester Nebendarsteller bekommen. Und das Medienboard hatte den Film mitfinanziert.
Kein Wunder also, dass die Goldfigur des besten Nebendarstellers nun strahlen muss, was das Zeug hält, schließlich geht es um Steuergelder, deren Verteilung gerechtfertigt werden muss. Und so überbieten sich das Medienboard beziehungsweise dessen Geschäftsführerin Kirsten Niehuus und der Regierende bei der Aufzählung, wem nun die höchste Hollywood-Ehre noch gebührt: „die Studio Babelsberg AG“ (Müller), „die Glienicker Brücke“ (Niehuus), „das Medienboard“ und gleich noch die ganze „Filmstadt Berlin“ (Müller), was immer damit genau gemeint sein mag. Sollen wir alle (Berliner, Brandenburger, Brückenbauer etc.) nun Oscar sein, so wie die Deutschen dereinst Papst?
Brr, bei der Vorstellung fröstelt es einen wie Tom Hanks in „Bridge of Spies“. Und man fragt sich, welches, ja man kann es kaum anders formulieren, PR-Ideenfeuerwerk Niehuus und Müller abgebrannt hätten, hätte Hanks den Preis für den besten Hauptdarsteller bekommen: Wahrscheinlich wäre dann ganz Deutschland oscarfeuchtfröhlich, und die Mauer müsste auch wieder aufgebaut werden. Weil ohne die hätte es ja weder diesen Oscar noch den Film gegeben.
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