Bert Schulz sieht einen Mythos wanken: Where is the Schlange?
Berlin-Touristen von weiter her fragen auch im Jahr 2017 noch gerne: „Where is the wall?“ Dieser Satz ist und bleibt untrennbar verbunden mit der Stadt.
Berlinale-Besucher auf der Suche nach Tickets könnten eine ähnliche Frage stellen: „Where is the Schlange?“
Tatsächlich ist das stundenlange Anstehen um Karten untrennbar verbunden mit dem Filmfestival: Jedes Jahr die gleichen Bilder in den Zeitungen von Menschen, die sich brav und geduldig an den drei Vorverkaufsorten anstellen und dabei auf Bildschirme starren, die es verkünden, wenn ihr Film ausverkauft ist. Und jedes Jahr fragte man sich, ob dieses Leiden noch angemessen ist in Internetzeiten. Offenbar ist es das nicht mehr.
Mittwoch, kurz nach 12 Uhr an den Kassen in den Potsdamer Platz Arkaden. Seit gut zwei Stunden läuft der Vorverkauf für die Samstagfilme. Ein 30-jähriger Dolmetscher in weiblicher Begleitung stellt sich zum ersten Mal an, von den berüchtigten Schlangen wusste er aber. „Ich habe mich auf eine Stunde Wartezeit eingerichtet“, sagt er. Doch schon nach fünf Minuten hat er seine Tickets – wenn auch nicht die, die er eigentlich wollte. Glücklich erklärt er, nun öfter „schnell mal in der Mittagspause rüberzurennen“ zum Kartenkauf. In den letzten Jahren noch war gerade diese Zeit berüchtigt. Nicht selten stand man eine Stunde, manchmal sogar zwei Stunden an einem der sechs Schalter in den Arkaden. Weil viele Cineasten hier ihre Pause verbrachten. Auch die Verkäuferin am Schalter wundert sich ein bisschen über die ungewohnte Leere, schränkt aber ein: „Morgens um 10 Uhr beim Verkaufsstart ist es schon noch richtig voll.“ Wer eines der begehrten Tickets für Premieren im Wettbewerb ergattern und sich nicht auf den Onlineverkauf verlassen will, muss also doch noch früh aufstehen, ausharren und im extremem Fall auch davor campen.
Bei der Berlinale führt man die Kürze der Schlangen in den Arkaden vor allem auf die vier Verkaufsstellen zurück, die von den Medienpartnern Audi und Mastercard angeboten werden. Die gibt es zwar schon länger; sie würden inzwischen aber sehr gut angenommen, sagt Sprecherin Frauke Greiner. Auch der Internetverkauf laufe sehr gut. Überhaupt sei das Interesse noch etwas größer als 2016. Foto: reuters
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