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Bert Schulz schaut auf die (Rathaus-)UhrMüller und Co. kriegen voll auf die Zwölf

Früher, noch vor 70 Jahren, waren Kirch- und Rathausuhren für viele einfache Menschen der Inbegriff der Zeit. Nach ihnen wurde sich gerichtet, ihre Klänge strukturierten den Tag (und die Nacht). Heute – da die meisten Menschen nicht einmal mehr eine Armbanduhr tragen, sondern mit der Uhrzeit-Ausrede den allzu häufigen Blick aufs Smartphone zu kaschieren suchen – werden Turmuhren als Relikt der alten Zeiten bestenfalls dezent ignoriert und die Schläge ihrer Glocken mit dem Verweis auf Lärmschutz zum Schweigen gebracht.

Mit einer interessanten Ausnahme: Ausgerechnet, wenn sie kaputt sind – früher sagte man: stehen bleiben –, achtet man wieder auf Turmuhren. Und jene, die unterm Turm leben oder beten oder arbeiten (oder alles zusammen), werden wortgewaltig verspottet. Nun trifft das ausgerechnet den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und sein Team: Seit Mittwoch, Punkt 12 Uhr, bewegen sich die Zeiger der Turmuhren am Roten Rathaus nicht mehr. Das Uhrwerk hat nach 60 Jahren Dienst und zuletzt vielen Reparaturen das Zeitliche gesegnet und wird komplett ausgetauscht.

Immer Geisterstunde

Für knapp zwei Wochen ist also immer High Noon oder Geisterstunde in Müllers Hütte. Zu beidem fallen einem schöne Szenen ein: Spukt da Klaus Wowereit als Untoter durch die Gänge? Oder gar Diepgen? Und was passiert, wenn man sie jetzt sogar am helllichten Tag trifft, weil sie vielleicht die Uhr nicht richtig lesen? Welche Duelle im Cowboy-Style gewinnt oder verliert der Regierende unter glutsengender Sonne um 12 Uhr mittags? Wer kriegt voll auf die Zwölf? Und was passiert mit den Leichen?

Damit nicht genug. Wem die Arbeit dieses hohen Hauses zu langsam erscheint, kann sich das nun damit erklären, dass Müller und Co. komplett aus der Zeit gefallen sind, seine verbeamteten MitarbeiterInnen stets zu Tisch sind (ist ja immer Mittag) oder nur noch zeitlos schöne Ideen umsetzen. Allerdings: Die in Pressemitteilungen der Opposition beliebte Mahnung, es sei in Sachen X oder Y schon nicht mehr fünf vor zwölf, sondern noch später, kann im Roten Rathaus nicht mehr so einfach als unzeitgemäße Formulierung abgetan werden.

Nicht auszuschließen, dass Sprüche dieser Art Michael Müller bald kräftig auf den Zeiger gehen werden. In Fall der Turmuhr misst der längere von beiden mehr als zwei Meter, die Zifferblätter haben einen Durchmesser von 4,75 Metern. Am 27. März soll auf ihnen wieder die richtige Zeit abzulesen sein. Und über Müller lässt sich dann nicht mehr sagen, er habe den Glockenschlag (alle 15 Minuten in C, sowie zur vollen Stunde in D) nicht gehört. Es sei denn, es ist zwischen 22 und 6 Uhr: Seit 2006 bleibt die Uhr in diesem Zeitraum stumm. Wegen Anwohnerbeschwerden. O tempora, o mores.

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