Bernhard Pötter Wir retten die Welt: Pferdedroschken und Atomkraftwerke
Verkehrswende? Kein Problem!“, denke ich, als der Lieferwagen mich mit seinem Außenspiegel fast vom Fahrrad holt: Wir führen wieder Pferdedroschken ein! „Ukraine-Lösung? Kein Problem“, denke ich, als im Fernsehen Panzer und Soldaten zu sehen sind: Man hält einfach freie und faire Wahlen in Russland ab und bekommt eine demokratische Regierung im Kreml, die die Nachbarn in Ruhe lässt.
Ja, so einfach wären die Lösungen in der Theorie. Und so unrealistisch in der Praxis, dass sie zu Recht unerwähnt bleiben. Nicht so in der Kopfschmerz-Debatte, ob in Deutschland die Atomkraftwerke weiterlaufen sollten, um Strom mit geringem CO2-Anteil zu erzeugen. Das ist zwar so wahrscheinlich wie ein demokratischer Wahlkampf von Wladimir Putin mit einer Pferdedroschke. Aber die geschätzte Kollegin Silke Mertins und die Historikerin Anna Veronika Wendland fordern diese Debatte in der taz: Das sei dann ein „Befreiungsschlag“, weil der „Anti-KW-Katechismus“ ausgedient habe, ein „Tabubruch“ und „Pragmatismus“ gegen „ideologische Verbohrtheit“.
Man muss also zum 732. Mal wiederholen, dass Atomkraft in Deutschland tot und leider noch nicht begraben ist – weil sie zu teuer, zu gefährlich, zu unpopulär selbst bei Energiekonzernen, zu voll mit ungelösten Altlasten und zu sperrig für ein erneuerbares Energiesystem ist. Selbstverständlich dürfen Mertins und Wendland diese Argumente fröhlich und faktenfrei ignorieren. Artenschutz gilt auch für Wolkenkuckucksheime und ihre BewohnerInnen.
Aber komisch ist es schon. Früher kamen die Spinner aus dem Öko-Lager. Heute sitzen da die Ultra-Realos, und der Wahnwitz hat die Seiten gewechselt. Klar bleibt es richtig, gegen den Strich zu denken. Aber beim realitätsfernen „Wünsch dir was“ fallen mir noch ganz andere Ideen zur Rettung der Welt ein: Wenn alle 82 Millionen Deutschen sich vegan ernähren würden, hätten wir einen Misthaufen Probleme weniger! Wenn sich alle nur an die Gesetze hielten, könnten wir die Polizei abschaffen! Wenn alle Deutschen für 10 Tonnen CO2-Zertifikate kauften, wäre unser Land morgen klimaneutral! Wenn die Hälfte der US-Bevölkerung wieder zu Verstand käme, müssten wir nicht „The Return of the Donald“ fürchten!
Nur: Alle diese „Wenns“ werden nicht passieren. Der Konjunktiv ist eine tolle Erfindung. Aber man sollte das Mögliche nicht mit dem Machbaren verwechseln. Sonst geht man denen auf den Leim, die – wie 50 Jahre lang die Atomlobby – alle zarten Pflänzchen der besseren, gesünderen und billigeren Konkurrenz ausgerissen haben. Und die jetzt nach ihrem klinischen Tod plötzlich Minderheitenschutz und frisches Denken einfordern. Es ist kein Konjunktiv und erst recht kein „Pragmatismus“, wenn die Theorie über die Praxis siegen soll. Es ist einfach nur absurd.
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