Bernhard Pötter Wir retten die Welt: Gegen vier Räder hat Hirn keine Chance
Die ruhmreiche 1. C-Jugend des Friedenauer TSC, wo unser Jüngster Fußball spielt, hatte ein Auswärtsspiel. Dienstagabend, am anderen Ende der Stadt. Pokalspiel, da gelten eigene Gesetze, wie man weiß. Der Trainer machte also mobil: Wer sich denn bereit finde, die Jungs mit dem Auto nach Frohnau zu fahren. Mit Bus und Bahn, das könne man den 14-Jährigen doch nicht zumuten.
Wir Eltern waren schwer begeistert. Am späten Nachmittag, mitten in der Rushhour per Auto einmal quer durch die Stadt? Es stellte sich raus: Der Sportplatz lag praktisch direkt am S-Bahnhof der direkten Linie. Allgemeiner Tenor unter uns Eltern: Fahrt mal schön mit der S-Bahn. Ist schneller, sauberer, gesünder, lustiger und ökologischer. Das Ergebnis: Unser Sohn fuhr mit einem Kumpel S-Bahn. Für alle anderen fand sich ein Auto.
So ist das oft bei Debatten zum Verkehr: Die Ratio nimmt gefälligst auf dem Rücksitz Platz. Kosten fürs Autofahren und Stehenlassen? Egal. Der Preis für Gesellschaft und Umwelt? Pfft. Wer braucht in der Stadt Vierradantrieb und Panzerung? Jeder dritte Käufer, der sich für ein SUV entscheidet. Inlandsflüge sind schneller als der Zug? Nur, wenn alles glatt geht. Wenn die Bahn sich verspätet, wird laut geschimpft. Den Stau auf der Autobahn nehmen wir als Strafe Gottes klaglos hin.
Seltsamerweise durchzieht dieser Irrglaube an den Homo oeconomicus auch die Verkehrsplanung. Selbst fortschrittliche Denker nehmen an, dass der Mensch sich auf seinen Wegen von der Vernunft steuern lässt: Man müsse Benzin verteuern, den Straßenraum verknappen, vor allem Busse und Bahnen attraktiver machen. Radstreifen, Vorgang für Fußgänger, das ganze Programm. Dann, so die These, sieht es der rationale Mensch schon ein. Er steigt aus dem Pkw aus und aufs Fahrrad. Die Welt ist gerettet.
Da müssen wir jetzt sehr tapfer sein. Meine Erfahrung ist zumindest für die Situation in Großstädten genau das Gegenteil: Sobald vier Räder im Spiel sind, hat das Großhirn keine Chance mehr. Wer Auto fährt, will Auto fahren. Punkt. Wer nicht Auto fährt, bewegt sich meist schneller und bequemer. Egal. Die Preise für Treibstoff könnte der Staat praktisch unbegrenzt anheben. Ein echter Deutscher spart eher beim Essen und trinkt altes Motoröl zum Frühstück als sich von „Preissignalen“ die Spritztour versauern zu lassen. Und darauf, den „öffentlichen Raum mit anderen Bewohnern zu teilen“, pfeifen die meisten, wenn sie bei lauter Musik in ihrer Kiste sitzen können.
Es ist wie oft im Zwischenmenschlichen: Beim Verkehr brennen alle Sicherungen durch. Viele Menschen brauchen das Auto nicht, aber sie können sich ihr Leben nicht anders vorstellen. Egal, ob es um Subventionen, Schutz für Dieselstinker oder kostenloses Parken geht: Das Auto bekommt immer eine Extrawurst. Nicht nur der Pokal hat seine eigenen Gesetze.
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