Bernhard Pötter Wir retten die Welt: 32 Jahre sind verdammt kurz
An 1986 kann ich mich gut erinnern. Wir hatten gerade „1984“ überlebt und die Fußball-Nationalelf hatte im Finale (!) der WM in Mexiko gegen Argentinien verloren. Ich hatte den ersten echten Liebeskummer und staunte in einem langen Sommer über die Weite und Weitherzigkeit der USA. An der Uni machte mir die Rechthaberei der Rechtswissenschaften zu schaffen.
Das ist 32 Jahre her. Ewig, denken meine Kinder. Eine Generation, sagen die Soziologen. Exakt die Zeitspanne, die wir noch haben, um unsere Kohlendioxid-Emissionen auf null zu bringen, sagen die Klimawissenschaftler – die Optimisten unter ihnen.
Schaue ich nicht zurück, sondern 32 Jahre nach vorn, steht da: 2050. Das klingt weit, weit weg. Urlaub auf dem Mars, sprechende Flugroboter, eine perfekte Welt ohne Hunger und Krankheit. Gern schmieden Politiker und Lobbygruppen „Langfrist-Szenarien“ bis 2050: eine Wirtschaft ohne fossile Brennstoffe, eine Chemie ohne Erdöl, ein Verkehr ohne Benzin, eine Politik ohne CSU. Viele schwärmen von dieser Zukunft: Leben im Luxus wie heute, nur ohne die Bremsstreifen des Kohlenstoffs, reicher und gerechter als je zuvor. Der Vorteil dieser Glaskugel-Politik: Heute kann man einfach weitermachen. Und 2050 ist niemand vom heutigen Personal noch im Amt.
32 Jahre sind verdammt kurz, wenn man sieht, was vor uns liegt. In einer Generation umbauen, was seit 200 Jahren an industrieller Infrastruktur und industriellem Denken aufgebaut wurde? Eine Agrarpolitik ändern, die seit 60 Jahren Geld und Einfluss verteilt? Essgewohnheiten umstellen, denen wir seit dem Holozän anhängen? Den Wert von Flugreisen, Autorennen und Billigschnitzel vom Plus ins Minus drehen? „Weniger ist besser und mehr“ als Maxime durchsetzen?
Ich merke, wie mir die Verzweiflung den Rücken hochkriecht. Wie ist das zu schaffen? Dann denke ich wieder an 1986. Daran, was wir uns damals nicht im Traum vorstellen konnten: elektronische Briefe, die in Sekunden um die Welt jagen. Ein kleines Telefon, auf dessen Bildschirm ich kostenlos mit meiner Tochter in Chile schwatzen kann. Stromversorgung ohne Atom und Kohle, und die Energiekonzerne sind dabei. Ein Grüner, der Baden-Württemberg regiert. Eine Paddeltour durch Brandenburg ohne Visum und Zwangsumtausch.
In einer Generation kann viel passieren. Muss. In der Technik ist das am einfachsten. Im privaten Verhalten wird es schon schwieriger. Hammerhart wird es, politisch-wirtschaftliche Machtblöcke umzudrehen oder abzuschaffen. Aber auch das geht, das haben die letzten 32 Jahre gezeigt. 1986 gab es noch die Sowjetunion, das Apartheids-Regime in Südafrika. In Deutschland hatte Helmut Kohl das Monopol auf Politik und RWE das Monopol auf Strom. All das schien mir damals für die Ewigkeit gemacht. Aber letztens fragte mein 14-jähriger Sohn: „Was war diese Sowjetunion noch mal?“
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