Bernd Schneider muss aufhören: Der den Ball liebte
Bernd Schneider muss 35-jährig seine Fußballerkarriere beenden. Wegen einer Rückenmarksverletztung. Eine Ende so tragisch, wie seine Karriere, die zu unrecht ohne Titel blieb.
![](https://taz.de/picture/347589/14/schneider_f.jpg)
Die zurückliegenden Wochen könnten als "Sommer der Treulosigkeit" in die Annalen eingehen, Trainer wechseln ihre Klubs nach Belieben, Spieler sowieso, Fußball ist ein kaltes Geschäft. So etwas wie echte Liebe empfinden oft nur noch die Fans. Und Bernd Schneider.
Der 35-Jährige liebt den Ball, viele Jahre lang konnte man diese Leidenschaft fürs Runde bei den Spielen von Leverkusen und der Nationalmannschaft beobachten. Kein anderer deutscher Spieler der vergangenen 15 Jahre streichelte den Ball so zärtlich, versah jede Berührung mit solch einer Sorgfalt, keiner fand schönere Räume auf dem Platz, in die er die Kugel mit sanfter Bewegung hineinstreichelte.
Nun haben die Mediziner dieser Liebe ein Ende bereitet. "Bei einer ärztlichen Nachuntersuchung wurde festgestellt, dass die Rückenmarksverletzung, die der Spieler im April 2008 bei einem Sportunfall erlitten hatte, die Fortsetzung seiner Laufbahn als Berufsfußballspieler unmöglich macht", teilte sein Verein am Freitagmorgen mit.
Schneider, der so gerne Fußball spielte, dass er im Urlaub inkognito ahnungslose englische Touristen schwindelig trickste, darf noch nicht einmal mehr auf Freizeitniveau kicken. "Es juckt natürlich immer", hat er in einem Abschiedsinterview erzählt, "doch es wird wohl aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr gehen, dass ich dem Ball hinterherjage."
Es ist das betrübliche Ende einer großen Fußballerkarriere, in der das Element der Tragik stets angelegt war. In 15 Jahren Profifußball mit 296 Bundesligaspielen für Frankfurt und Leverkusen (39 Tore) und 81 Länderspielen (4 Tore) hat Schneider keinen einzigen Titel gewonnen. Zweimal war er mit Leverkusen Zweiter in der Bundesliga, er verlor ein WM-Finale, ein Champions-League-Finale und zwei DFB-Pokalendspiele. Das letzte erst vor vier Wochen in Berlin. "Trotzdem bin ich mit meiner Laufbahn zufrieden", verkündete er zum Abschied.
Wie der grandiose Fußballer, den sie auf dem Platz nur "Schnix" riefen, wirklich empfindet, weiß allerdings niemand. Einen tieferen Blick in seine Gefühlswelt hat Schneider der Öffentlichkeit nie gewährt, ohne Ball am Fuß wirkte er immer verschlossen und etwas wortkarg.
Dennoch ist Schneider wohl der einzige Spieler, der eine Meisterschaft mit einem Spruch entschieden hat. Aufgrund seiner Spielweise wurde der Jenenser auch "der weiße Brasilianer" genannt, in einer Partie in Gelsenkirchen provozierte er den Gegenspieler Lincoln 2007 daraufhin mit der Frage: "Und du willst Brasilianer sein?"
Lincoln gab dem Leverkusener eine Ohrfeige, flog vom Platz und fehlte Schalke in den entscheidenden Spielen um den Titel. Schneider ärgerte sich danach selbst über die Disziplinlosigkeit Lincolns, er hatte in einem Fußballmanagerspiel viel Geld in den Brasilianer investiert.
Diese bedingungslose Verspieltheit wird auch dem Nationalteam fehlen. Bis zuletzt hatte Schneider von der WM 2010 in Südafrika geträumt, "das sollte der Abschluss meiner Karriere werden", hat er gesagt, daraus wird nun nichts. "Die spielerischen Qualitäten von Bernd und seine überraschenden Aktionen im Mittelfeld waren für die Nationalmannschaft von enormer Bedeutung", teilte Joachim Löw mit, Schneider war auch einer der Protagonisten des spielerischen Aufschwungs beim DFB zwischen 2004 und 2008.
Zwar war er einer der wenigen Raucher im Profifußball, doch läuferisch präsentierte er sich immer vorbildlich, und sein Körper galt als unverwüstlich. Bis zu jenem lauen Sommerabend, als der portugiesische Klub Uniao Leiria zu Gast in Leverkusen war. Nach einem unscheinbaren Zweikampf hielt sich Schneider das Knie.
Er musste ausgewechselt werden, alles schien ganz harmlos. Von einer Prellung war die Rede - aber statt der angekündigten zwei Wochen fiel Schneider zweieinhalb Monate lang aus. Auf diese erste Verletzungspause der Karriere folgten kleine Rückschläge und eine Formkrise, bis Schneider nach einer Trainingseinheit mit Rückenbeschwerden zum Doktor ging. Der verordnete die verhängnisvolle Bandscheibenoperation, von der sich Schneider nicht mehr richtig erholte.
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