Bernd Müllender eingelocht: Eine Runde Seniorenturnier
Zu den regelmäßig aufploppenden Klischees über den Golfsport zählt die falsche Mutmaßung, das sei nur was für Alte. Zum Beweis dient der Blick auf einen beliebigen Golfplatz: Guck mal, nur Grauhaarige. Gebückter Gang. Wie die schleichen! Klarer Fall: Seniorensport.
Einzuwenden ist, dass sich insbesondere wochentags Jüngere leidend gern auf den Grüns tummeln würden. Gemeinerweise steht dem das Arbeitsleben entgegen. Nur Rentnerinnen und Pensionäre haben tagsüber Zeit, und da spielen sie lieber Golf als sich um die Enkelbrut oder die Vorpflege ihrer künftigen Gräber zu kümmern. Und Golf hilft mit seinen 10-Kilometer-Walks und mäßig stark belasteten Kreislaufsystem nachgewiesenermaßen der Gesundheit. Heißt: Viele der heute grauhaarigen Alten werden weißhaarig noch als sehr Alte spielen.
Senior im Golf ist man mit blühenden 50, also schon kurz nach der Geburt. Das zehrt am eigenen Seelenheil: Wenn ich jetzt schon offiziell zum Vorgreisentum zähle, was soll dann im Leben noch kommen!?
Zum Beispiel Seniorenturniere. Ich hatte es vorige Woche in einer Dreiergruppe mit dem drahtigen Peter (75) und Ex-Leistungsschwimmerin Rica (60) zu tun.
Peter ist wahrscheinlich der langsamste Spieler auf des Golfgottes grünen Erden. Hinter den Ball stellen. Ausrichten. Schläger zum Richtungspeilen in die Luft halten. Neben den Ball stellen. Dann immer zwei Probeschwünge. Dann näher an den Ball stellen. Konzentration erneut sammeln. Stand minimal ändern. Dann tatsächlich ausholen – und den Ball, na ja, auch mal mäßig erfolgreich treffen. Rica sagt dann: „Ach schade, aber das kommt schon wieder.“
Rica liebt das Lob. „Wir ärgern uns doch viel zu oft viel zu sehr. Hey, die Sonne scheint, wir haben einen schönen Nachmittag zusammen. Was will man mehr?“ Als sie den Ball einmal perfekt weit schlägt und der ärgerlicherweise in den Sandbunker kullert, hätte ich gesagt: „Scheiße, heute werden gute Schläge bestraft.“ Rica freut sich: „Aber der Schlag war richtig schön.“
Wir redeten auch über unsere Gedächtnisse. „Hattest du eine 4 oder eine 5 am letzten Loch?“, fragt Peter. „Immer noch 4, Peter.“ Auch Mitsenior J. ist kurz Thema. Der hatte im Vorübergehen fröhlich überrascht gesagt „Ach, hallo!“ Keine fünf Minuten später, wieder das gleiche überraschte „Ach, hallo!“ Hatte er den Moment kurz zuvor schon wieder vergessen? Oder M.: Jedes Mal sagt er, „Herr Müllender!? Lange nicht gesehen!“ Ob es drei Wochen oder sechs Monate her ist. Vielleicht nur eine Marotte von ihm. Oder mein Gedächtnis hakt.
Spieler Josef, später mit einem Preis versehen, ist Peters Tempogegenteil. Der Ex-Polizist geht hin zum Ball und schießt ihn augenblicklich weg. „Ich spiele so lange Golf; wenn ich jetzt noch Probeschwünge bräuchte, hätte ich was falsch gemacht“, hat er mal gesagt. Im Berufsleben hat er vermutlich auch keine Probeschüsse abgegeben.
Peter hat auch nach fünf Jahren Golfspiel noch nicht alle Verhaltensregeln („Etikette“) verinnerlicht. Mal tritt er, ein No-go, auf die Puttlinie eines anderen. Oder rennt einem vor die Nase, wenn man sich gerade auf seinen Putt konzentriert. Aber das wird er in den nächsten 75 Jahren Seniorengolf noch umstellen. Von Rica hat er längst gut gelernt. Als ich den Ball einmal ins Gebüsch jage, kommentiert er charmant tröstend: „Aber der Probeschwung war exzellent.“
Rica ist übrigens Rica Reinisch, dreifache Schwimm-Olympiasiegerin für die DDR in Moskau 1980. Später war sie vor dem Berliner Landgericht Kronzeugin gegen die Verantwortlichen der verdeckten Dopingpraxis mit anabolen Steroiden („die kleinen blauen Pillen“) und später liebesbedingt im Rheinland gelandet. Heute arbeitet Reinisch als Mentalcoach. Mit ihr werde ich demnächst eine eigene Runde für diese Kolumne drehen. Vermutlich maximal relaxt.
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