Berlins jüdischer Fußballclub: Hitlergruß am Spielfeldrand
"Ich ficke diesen scheiß Judenverein!" - derartiges müssen sich Spieler des jüdischen Fußballclubs in Berlin anhören. Die gegnerischen Clubs reagieren betroffen - offiziell.
BERLIN taz Die Partie ist abgepfiffen, Marko Maschke steht am Rand des Spielfelds, die Arme hält er vor der Trainingsjacke verschränkt. Drei zu zwei hat sein Team vom Köpenicker SC gewonnen. Auswärts, gegen den besser platzierten TuS Makkabi - und ein Eklat ist auch ausgeblieben. Zufrieden deutet der Trainer zum Ausgang: "Jetzt gehen unsere Jungs sogar Arm in Arm mit denen von Makkabi in die Kabine." Er hängt seine Hände lässig in die Hosentaschen. Rassismus? Ach, brummt Maschke, das Thema solle man nicht aufbauschen. "Keine Frage, ausländerfeindliche Parolen gehören nicht auf den Platz." Aber Fußball lebe nun mal von Emotionen, "nicht alles, was da gesagt wird, ist rassistisch gemeint."
Es ist ein milder Samstagnachmittag, der Wind rauscht im Birkenlaub, Würstchen zischen auf dem Grill. Man könnte meinen, die Stimmung sei richtig gut auf dem Gelände des einzigen jüdischen Sportvereins der Hauptstadt. Doch diesem Eindruck beugt der Gastgeber vor. Am Einlass liegen Handzettel aus. "Die Spieler des TuS Makkabi Berlin protestieren gegen die sich häufenden antisemitischen und rassistischen Beleidigungen", steht darauf. "Es ist allerhöchste Zeit zu handeln!!!" Vor dem Anpfiff hat die Mannschaft ein Transparent entrollt, auf dem sie "Menschenrechte" auf dem Fußballplatz fordert. Und auf den Trikots wirbt Makkabi nicht für einen Dachdecker wie das gegnerische Team, sondern für etwas, das der Club schmerzlicher vermisst als Sponsorengeld: "Respekt im Spiel".
Allein in diesem Jahr gab es schon dreimal Ärger bei Spielen des jüdischen Fußballclubs. Im Februar brüllte ein Spieler der Reinickendorfer Füchse: "Ich ficke diesen Scheiß-Judenverein!" Ende März zeigte ein Zuschauer in Adlershof den Hitlergruß, ein anderer beleidigte eine Makkabi-Betreuerin mit Naziparolen. Im April nun soll ein Spieler des BFC Viktoria 89 einen angolanischen Makkabi-Stürmer als "Scheißneger" beschimpft haben.
Was sich zuträgt bei den Partien des TuS Makkabi, ob der Berliner Fußballverband (BFV), die anderen Clubs, die Schieds- und Sportrichter darauf angemessen reagieren - diese Fragen sind inzwischen zum Politikum geworden. Öffentlich verurteilen alle die Anfeindungen. Kein Wunder, schließlich fährt der Deutsche Fußball-Bund seit einiger Zeit eine Kampagne gegen Rassismus. Tatsächlich aber ist unter Fußballern wie Funktionären umstritten, wo genau die Grenze verläuft zwischen unpolitischem Gepöbel und rassistischen oder antisemitischen Attacken. Und ob der jüdische Club zu Recht den Kurs des BFV anprangert.
Der Vorsitzende des TuS Makkabi schaut höflich durch seine runde Brille, während er schildert, was für ihn so unverständlich ist. "Der Verband reagiert zu lax", sagt Tuvia Schlesinger. "Es ist der Eindruck entstanden, uns darf man ungestraft beleidigen." Seit Monaten warnt er öffentlich, dass die Zahl der Anfeindungen gegen seinen Club steigt. Inzwischen sei es "gesellschaftsfähig", Makkabi-Spieler zu beleidigen.
Tuvia Schlesinger, von Beruf Polizist, geboren 1952 in Haifa, aufgewachsen zunächst in Israel, später in Berlin, engagiert sich nicht nur im Sport. Er ist auch Vizechef der Repräsentantenversammlung der Berliner Jüdischen Gemeinde. Die Teams von Makkabi treten zwar möglichst nicht am Sabbat an, auf dem Rasen aber geht es um Tore, nicht um die Thora. Was zählt, ist das Talent der Fußballer, nicht ihre Herkunft, nicht ihr Glauben.
"Nee", sagt Marion Hendschke. "Ick lass mir doch nicht als Jüdin beschimpfen! Die Leute sollten sich gefälligst erst mal informieren. Wir sind hier überhaupt nicht nur von Juden umgeben." Marion Hendschke steht neben den Umkleidekabinen und wendet die Würstchen auf dem Grill. Ihr Sohn ist unlängst in die erste Mannschaft von Makkabi gewechselt. Der Mittelfeldspieler trägt nun das Trikot mit dem Davidstern auf der Brust - obwohl er wie die meisten im Team nicht jüdischen Glaubens ist. Oft hat seine Mutter ihn begleitet. Was sie erlebt, bringt sie in Rage. "Ick weeß nicht, wat die eigentlich wollen. Det Sportliche is hier doch genauso wie woanders."
Glaubt man dem Makkabi-Vorsitzenden, dann begann die Wende zum Schlechten im Herbst 2006. Die zweite Mannschaft reiste zu einer Partie gegen die VSG Altglienicke. Kurz zuvor hatte die NPD in dem Bezirk den Sprung ins Lokalparlament geschafft. Das Spiel war kaum angepfiffen, da grölten Zuschauer: "Wir bauen euch ne U-Bahn nach Auschwitz!" Aber der Schiedsrichter hörte nichts. Irgendwann ergriff das Makkabi-Team die Flucht. Was folgte, war ein komplizierter Rechtsstreit zwischen dem jüdischen Club und dem BFV. Der Fall ist bis heute nicht geklärt.
Für Schlesinger steht fest: Mit seinen milden Sanktionen hat der Verband eine negative Kettenreaktion ausgelöst. Nie hätten die Sportrichter nach rassistischen oder antisemitischen Anfeindungen das gegnerische Team mit einem Punktabzug bestraft - obwohl die Satzung eben das verlange. Schlesinger nennt das "Rechtsbeugung".
Das ist die eine Sicht. Die andere hört man, wenn man Anonymität zusichert. Inzwischen seien viele im Verband "genervt" von Makkabi. Fußball sei nun mal ein "Prollsport" und der Fußballplatz kein "Literaturhaus". Zumal das Gepöbel ja nicht nur Makkabi-Spieler treffe.
Das erzählt auch der Sportler, der auf der Treppe im "Haus des Fußballs" sitzt und auf eine Sportgerichtsverhandlung wartet. Dass jemand als "Scheißneger" beschimpft werde, sei doch Alltag: "Wenn ich im Osten spiele, dann werde ich genauso beleidigt: Scheißtürke! Scheißkanake! Ey, da lach ich nur drüber!" Wenn aber Makkabi-Spielern so etwas passiere, werde daraus eine große Sache. "Ich hab das Gefühl, die von Makkabi darf man nicht beflecken."
Freundliche Worte, verglichen mit dem, was man inzwischen im Internet über den jüdischen Club lesen kann. "Sportlich hab ich keine Chance, also hol ich mir die Punkte am grünen Tisch, bei den doch so verständnisvollen Richtern", poltert jemand in einem Berliner Fußballforum. Andere mosern: Würden sich "alle deutschen Vereine" nach einem Spielwochenende über die Migrantenclubs beklagen, wäre der BFV "binnen weniger Tage absolut lahm gelegt". Mit Antisemitismus habe das Gepöbel nichts zu tun, bloß wage das keiner zu sagen - "weil sonst sofort das elendige Rassismus- oder Antisemitismusgeschrei aufkommt".
Claudio Offenberg, 51 Jahre, Sportwissenschaftler und Politologe, kennt das Getuschel. "Wir sind die Störenfriede der Liga - wir sollen uns mal nicht so haben!" Der Trainer des TuS Makkabi versucht nicht, seine Wut zu verbergen. "Das ist doch grotesk: Wir müssen uns dafür rechtfertigen, dass wir uns wehren!"
Auf seinem Schreibtisch liegt ein Stapel mit Papieren über die jüngsten Vorfälle. Er zieht einen Zeitungsartikel heraus. Nach dem letzten Eklat gab Makkabi bekannt, fortan aus Protest alle Partien zehn Minuten zu spät anzutreten. Die Reaktion des BFV hat den Trainer verblüfft. Er liest vor: Die Vereine sollten den Spielablauf nicht ohne "handfesten Grund" verzögern. Offenbergs Miene ist steinern. "Es gibt niemanden, der sich klar auf unsere Seite stellt."
Wenn man Bernd Schultz darauf anspricht, lächelt der mild. Dann erklärt Berlins oberster Fußballfunktionär, seine Kritik habe sich nicht gegen die politische Symbolik gerichtet, sondern "rein sportliche Gründe" gehabt. Er müsse nun mal dafür sorgen, dass der Zeitplan eingehalten wird.
Nein, Ignoranz und Untätigkeit will sich der BFV-Chef nicht nachsagen lassen. Wer den Polizeiverwaltungsbeamten in seinem Büro besucht, passiert auf dem Weg durch das "Haus des Fußballs" drei Plakate gegen Rassismus. Oben liegt eine Broschüre über die Initiativen des Verbands für "Fairplay" bereit. Gerade gestern, erzählt Schultz, sei er bei der Vorsitzenden der Berliner Jüdischen Gemeinde zu Besuch gewesen. Natürlich habe er ihr zugesichert, Makkabi noch stärker zu unterstützen.
Man kann Schultz mit den schärfsten Vorwürfen konfrontieren, ihm rutscht kein kritisches Wort über Makkabi heraus. Stattdessen sagt er: "Bei diesem Verein besteht ein absolutes Recht auf Empfindlichkeit." Ärgern ihn die Attacken nicht? "Ich billige den Leuten ihre subjektive Sicht zu", erwidert Schultz nüchtern. Zuweilen klingt der Funktionär sogar selbstkritisch. Dass die Sportrichter "noch nicht in aller Härte" das Verbandsrecht umsetzten, sei sicher ein Problem. Nur könne er unabhängigen Richtern keine Vorschriften machen - und der Verband sei auf die Ehrenamtlichen angewiesen. Nach dem antisemitischen Ausraster eines Spielers im Februar habe der Verband aber selbst die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, berichtet Schultz. Außerdem seien Zusatzschulungen für Schieds- und Sportrichter geplant - so wolle man die Funktionäre "noch stärker für Rassismus sensibilisieren".
Das ist nach Ansicht des Makkabi-Vorsitzenden überfällig. Gerade hat er das jüngste Sportgerichtsurteil bekommen. "Ein Katastrophe", sagt Tuvia Schlesinger. Dreieinhalb Stunden hatte sich die Sitzung hingezogen. Auf Wunsch des beschuldigten Vereins Viktoria 89 flog sogar die Presse aus dem Saal. Das Urteil erging schriftlich. Nach der Lektüre fragt sich Schlesinger: "Was hat das noch mit Recht und Verhältnismäßigkeit zu tun?"
Die Richter verzichteten nicht nur auf einen Punktabzug für Viktoria 89. Sie glaubten auch nicht, dass ein Viktoria-Spieler den angolanischen Makkabi-Stürmer als "Scheißneger" beleidigt hat. Stattdessen sanktionierte das Gericht, was der Beschuldigte zugab: Er habe "Scheißlutscher" gebrüllt. Fünf Spiele soll er dafür pausieren. Die zweite Sperre kassierte ein Makkabi-Spieler. Der war zwar laut Schlesinger nur als Zeuge geladen, gab aber zu, er habe einen Unparteiischen angepflaumt: "Profiliert euch nicht auf unsere Kosten!"
Bei Viktoria 89 hält sich die Empörung in Grenzen. Natürlich wäre sein Club eingeschritten, hätte ein Spieler "Scheißneger" gerufen, sagt Vereinsvize Guido Schmitz. "So etwas darf nicht mal in angespannten Momenten passieren." Bloß sei diese Beleidigung ja nicht gefallen. "Ganz schön hart" findet er deshalb die Strafe - aber akzeptabel.
Schlesinger sieht das anders. Er will Berufung gegen das Urteil einlegen. Seine Vereinsmitglieder unterstützen diesen Kurs. So wie der grauhaarige Herr, der die Partie gegen Köpenick verfolgt. In den 70ern, erzählt der Senior, sei er auch mal angepöbelt worden: "Dich haben Sie wohl vergessen zu vergasen." Das gegnerische Team sei sofort aus dem Verkehr gezogen worden. Und heute? Ratlos hebt er die Hände. "Stellen Sie sich vor, unser Team würde aufsteigen und im blau-weißen Bus nach Mecklenburg-Vorpommern fahren!" Er malt sich das lieber nicht aus.
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