Berlins Ex-CDU-Hoffnung Pflüger: Absturz eines Polit-Autisten
Er galt als Hoffnungsträger der Hauptstadt-CDU, als Verfechter eines liberalen Kurses. Am Donnerstag soll Friedbert Pflüger aus dem Amt gejagt werden.
Manche Anekdoten halten sich über Jahrzehnte, seien sie auch erfunden. Joschka Fischer kolportierte mit Vorliebe, Friedbert Pflüger habe sich einmal französischen Gesprächspartnern gegenüber ernsthaft mit "Friiedbäär' Pflügääär" vorgestellt. Der wiederum bestreitet das. Die Geschichte verfing, weil sie dem Image des heute 53-Jährigen entsprach: gefallsüchtig, bemüht weltgewandt, eitel bis zur Travestie. Der gebürtige Hannoverane begann eine steile Karriere. Richard von Weizsäcker diente er erst in Berlin als Büroleiter des Regierenden Bürgermeisters (1981-84), anschließend als Pressesprecher des Bundespräsidenten (1984-89). Bis heute ähnelt Pflügers Auftreten dem seines Vorbilds. Von 1990 bis 2006 saß Pflüger im Bundestag, zuletzt war er Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Enttäuscht, im heimischen Niedersachsen kein Ministeramt ergattert zu haben, wandte er sich Berlins Landespolitik zu. Als Herausforderer Klaus Wowereits (SPD) führte er 2006 seinen ersten Wahlkampf - und unterlag deutlich. Die Umfragewerte der Hauptstadt-CDU haben sich seither nicht gebessert. An diesem Donnerstag könnte Pflügers politische Karriere durch eine Abwahl als Berliner Fraktionschef fürs Erste enden. MLO
Die Selbstdemontage von Friedbert Pflüger in der Hauptstadt-CDU sucht ihresgleichen. Der einstige Hoffnungsträger, der vor zweieinhalb Jahren als Nothelfer in die Landespolitik wechselte, ist in den vergangenen Tagen zum Ausgestoßenen geworden. Pflügers Abstieg ist einerseits ein Lehrstück darüber, wie Traditionalisten und Modernisierer in der CDU um die Ausrichtung der Partei ringen - und er zeigt andererseits, wie ein erfahrener Politiker den Bezug zur Realität in seiner Partei verlieren kann.
Wie unverblümt die Ablehnung des für einen großstädtisch-liberalen Kurs stehenden Pflüger inzwischen ist, zeigt die CDU-Fraktionssitzung im Berliner Landesparlament am Dienstag. Auf der Tagesordnung steht eine Aussprache über den Fraktionsvorsitzenden Pflüger. Noch während es drinnen hoch her geht, treten einzelne Abgeordnete vor die Tür und geben Journalisten den aktuellen Stand durch: Bisher habe noch niemand Pflüger das Vertrauen ausgesprochen. Mehrere Abgeordnete hätten ihn aufgefordert, die Vertrauensfrage zu stellen. Nachdem der das abgelehnt habe, sei einer der beiden Vizevorsitzenden sowie der Schatzmeister aus Protest zurückgetreten. Der andere Vizevorsitzende Frank Steffel sagt, er sei nur deshalb nicht zurückgetreten, weil jemand ja die Sitzung leiten müsse. Die Entwicklung findet er "menschlich und politisch traurig" - und meint damit nicht das Ende von Pflügers Karriere in Berlin, sondern dessen Festklammern am Amt.
An diesem Donnerstag nun soll Pflüger auf einer Sondersitzung der Fraktion abgewählt werden, die nötige Zweidrittelmehrheit gegen ihn gilt als sicher.
Pflügers Absturz begann am vergangenen Donnerstag: Auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz verkündet er, als Parteivorsitzender gegen Amtsinhaber Ingo Schmitt antreten zu wollen. Pflüger begründet das mit Putschgerüchten gegen ihn, von denen er in der Zeitung gelesen habe. Er stellt die Machtfrage: "Ich kann nur Regierender Bürgermeister von Berlin werden und das Vertrauen der Menschen in Berlin erwerben, wenn ich das Vertrauen meiner Partei erwerbe." Falls er keine Mehrheit als Landesvorsitzender bekomme, werde er auch nicht als CDU-Spitzenkandidat für den Wahlkampf 2011 zur Verfügung stehen. Mit diesem Schritt düpiert Pflüger Parteichef Schmitt, auch viele parteiinterne Anhänger sind überrascht. Außerdem steht die nächste Wahl zum Landesvorstand erst im Mai 2009 an. "Neun Monate Personaldiskussion halte ich für unverantwortlich", kritisiert der CDU-Kreisvorsitzende aus Spandau.
Am Sonntagmittag ist Pflüger auf dem Sommerempfang der CDU. Zur Begrüßung der 400 Gäste stehen vorne die Sprecherin der Frauen-Union, Edeltraut Töpfer, und Parteichef Schmitt. Pflüger stellt sich neben die beiden. Töpfer sagt, die Debatte um den Landesvorsitz bringe die Partei nicht weiter. Sie gibt das Mikrofon weiter an Schmitt. Der lobt den Pflüger-Konkurrenten Frank Henkel, erklärt das Buffet für eröffnet und gibt das Mikrofon zurück an Töpfer. Pflüger greift mehrmals nach dem Mikrofon. Töpfer hält es jedoch tapfer fest. Pflüger kommt nicht zu Wort.
Am Sonntagabend trifft sich Pflüger in einem Hotel mit den Vorsitzenden der zwölf Berliner CDU-Kreisverbände. Diese Runde ist in keiner Satzung festgelegt, aber sie versammelt die einflussreichsten Menschen in der Hauptstadtunion. Die Kreisvorsitzenden machen Pflüger klar, dass er keinen Rückhalt in der Partei mehr hat. Entweder Pflüger nimmt seine Kandidatur zurück oder die Kreisvorsitzenden fordern ihn in einer gemeinsamen Erklärung genau dazu auf. Pflüger entscheidet, seine Kandidatur zurückzuziehen, Frank Henkel verliest in der Nacht um 2.30 Uhr die Erklärung.
Am nächsten Tag beruft Pflüger überraschend eine Pressekonferenz für 15 Uhr ein, auf einem Platz in der Nähe seiner Wohnung im Bezirk Wilmersdorf.
Alle erwarten jetzt seinen Rücktritt. Pflüger aber erklärt: "In der gestrigen Nacht habe ich in der Kreisvorsitzendenrunde unter großem Druck einem Kompromiss zugestimmt. Aber dieser Kompromiss ist faul, und ich stehe für faule Kompromisse nicht zur Verfügung." Er wolle nun doch als Parteichef kandidieren. Abgeordnete kritisieren sein Verhalten als "autistisch". In der Fraktion ist die Stimmung fast geschlossen gegen ihn. Selbst Unterstützer wie die Vorsitzende der Neuköllner CDU, Stefanie Vogelsang, fordern Pflüger auf, der sicheren Abwahl durch seinen Rücktritt zuvorzukommen.
Am Mittwoch meldet sich Pflüger noch einmal zu Wort: Parteichef Ingo Schmitt solle zurücktreten.
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