Berlinmusik: Fenster zu den Sternen
Vier Spieler sollt ihr sein. Eigentlich besteht das traditionelle Jazzquartett ja aus einem Melodieinstrument, bevorzugt Saxofon oder Trompete, Klavier und der Rhythmusgruppe Bass und Schlagzeug. In vielen Fällen gilt diese Arbeitsteilung bis heute.
Ein Quartett hat die in Berlin lebende Pianistin Satoko Fujii auf ihrem jüngsten Album „Aspiration“, ihrem bisher vierten allein in diesem Jahr, ebenfalls zusammengestellt. Satoko Fujii macht die Dinge aber gern etwas anders als allgemein üblich. So hat sie mit den Trompetern Wadada Leo Smith und Natsuki Tamura gleich zwei Melodieverantwortliche hinzugezogen. Neben ihrem Klavierpart kommt mit Ikue Mori noch eine Elektronikerin hinzu. Keine Standardbesetzung mithin, dafür eine Konstellation, in der sich jede Menge Reibungsenergien aufbauen lassen.
„Aspiration“ bietet eine All-Star-Group des avancierten Jazz. Die ihre Möglichkeiten höchst wohldosiert nutzt. So vereinen die beiden Bläser ihr geballtes Obertonspektrum zum behutsamen Klangschmirgeln, während die herkömmlich auf den Tasten erzeugten Klaviertöne Satoko Fujiis in Ikue Moris außerweltlichen synthetischen Zirp-, Zisch- und Blubberlauten ein perfektes Pendant finden.
Swing steht dabei weniger im Vordergrund als ein Miteinander von konkreten Melodien, Harmonie, Dissonanz und abstrakter Geräuschbildung. Fujii und ihre Mitstreiter setzen ihr Vokabular jedoch nicht zur Massierung von heftigen Eruptionen ein. Stattdessen Kammermusik, die für ihre Spannung keine hohen Dezibelwerte erreichen muss, vielmehr sich im gegenseitigen Ausloten des Raums um die vier Parteien herum ergibt.
Einen ähnlich freien und – weitgehend – stillen Ansatz wählen der Schlagzeuger Kasper Tom, Pianist Alexander von Schlippenbach und der Klarinettist Rudi Mahall auf ihrer ersten Album-Begegnung „Abstract Window“. Die Improvisationen der zwei Berliner – Tom lebte zumindest einige Jahre ebenfalls hier – knüpfen etwas stärker an die Free-Jazz-Tradition an, wobei Kasper Tom mit seinem Spiel weniger rhythmische Grundlagenarbeit als eine punktuelle Akzentuierung des Geschehens beisteuert.
Wie bei Satoko Fujii treten auf „Abstract Window“ alle Musiker als gleichberechtigte Gestalter in Erscheinung. Hören aufeinander, mal zurückhaltend, mal rauer. Und in alle Richtungen beweglich. Tim Caspar Boehme
Satoko Fujii: „Aspiration“ (Libra)
Kasper Tom/Alexander von Schlippenbach/Rudi Mahall: „Abstract Window“ (WhyPlayJazz)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen