Berlinmusik: Mr. and Mrs. Krach
Eines der schlimmsten Dinge für den gemeinen Berliner, so las ich neulich irgendwo, sei es, etwas zu verpassen. Deshalb müsste man eigentlich vor dem Erwerb des Albums von Damo Suzuki & Sound Carriers warnen; denn es handelt sich bei diesen rund 120 Minuten Musik um den Mitschnitt eines Konzerts im Berliner Club Marie Antoinette.
Dieses ist zwar schon einige Jahre her (November 2011), aber die meisten Hörer werden sich wohl denken: Mist, dass ich damals nicht dabei war!
Damo Suzuki – ehemaliger Can-Sänger, begnadeter Schamane, Legende – ist hier zusammen mit Dirk Dresselhaus alias Schneider TM und einigen anderen Musikern zu hören. Vier halbstündige Improvisationen zwischen Freejazz und Neubauten gibt’s auf die Ohren, ein wahrer Freakout. Damo Suzuki klingt mal, wie B. B. King oder Louis Armstrong singt, mal setzt er Sprechgesang ein. Man habe sich damals kaum gegenseitig gehört auf der Bühne, wird Schneider TM zitiert – das Ergebnis sei nur mit einer guten Gruppendynamik zu erklären. Und wirklich: Umso länger dieses Album (ein Video des Auftritts kann man unter www.playloud.org erwerben) andauert, umso mehr zieht es einen rein. Der letzte Track besteht einfach nur aus 28 Minuten und 28 Sekunden wunderbarem Krach.
Apropros Krach: Nun soll es um die Künstlerin Pilocka Krach gehen. Diese ist untrennbar mit der Berliner Rave- und Technoszene und mit der Bar 25 verbunden, seit der Jahrtausendwende trat sie als hyperagile DJ und Produzentin in Erscheinung. Mit oben genannten Kraut- und Elektronik-Urgesteinen hat die Sängerin nicht nur den Hang zum Exzess gemein, sondern wie jene ist sie auch ein echtes Original (zu überprüfen auch in der tollen Dokumentation „Oh Yeah. Berlin. Macher aus der Berliner Subkultur“, 2015).
Auf „Sugar Kane & The Lost Amigos“, dem zweiten vollen Album der Berlinerin, ist Technoides mit Wumms und Witz, mit knackigen Bässen und Beats zu hören. Die 12 Stücke zeigen, dass die gebürtige Köpenickerin absolut auf der Höhe der Zeit ist, was elektronische Musik betrifft, und wissen vor allem durch ihren spielerischen, lustvollen Umgang mit Sounds aller Art zu überzeugen. „Clarita’s Song“, erste Single-Auskopplung mit Zeug zum Dancefloor-Kracher, ist ein gutes Beispiel dafür. Sollte man nicht verpassen.
Jens Uthoff
Pilocka Krach: „Sugar Cane & The Lost Amigos“ (Greatest Hits International)
Damo Suzuki & Sound Carriers: „Live at Marie-Antoinette“ (Play Loud!)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen