Berlinmusik: Verzauberte Inseln
Seit einiger Zeit wird sie leidenschaftlich gefeiert. Dabei hat die Musik nicht mal einen richtigen Namen. Eine Weile geisterte das Adjektiv „postklassisch“ durch die Fachpresse, inzwischen nennt man bloß die Namen der Beteiligten, allen voran der Pianisten Nils Frahm und Ólafur Arnalds. Der Berliner Ben Lukas Boysen, auch er Pianist, gehört ebenfalls in diese Riege. Mit „Spells“ liegt jetzt sein zweites Album vor.
„Spells“ weist viele der für diese Musik typischen Elemente auf: klassische Instrumentierung wie Klavier, Streicher und Harfe, dazu reduzierte, repetitive Strukturen, die man vorwiegend aus elektronischen Produktionen kennt. Oft erinnern die flächigen, vor sich hin treibenden Stücke an Ambient. Die Musik eignet sich prächtig als Filmmusik, ist mehr Soundtrack für den Hintergrund als die volle Aufmerksamkeit fordernde Folge von Klangereignissen. Man kann darin eine den veränderten Hörgewohnheiten – Dauerbeschallung, bevorzugt mit Kopfhörer – geschuldete Entwicklung sehen. Was man nicht kulturkritisch beklagen muss, es genügt zunächst, dies zu konstatieren.
Manche Musiker verfolgen diese Strategie der lockeren Texturen mit dem erklärten Ziel, den Hörern nicht unnötig viele Vorgaben zu machen, ihnen Raum für eigene Gedanken zu lassen. Dabei bleibt einem überlassen, ob man das Angebot zum aktiven Hören annimmt – oder ob einem die luftigen Tongebilde einerseits zu wenig (geistige Anregung), andererseits zu viel (Gefühlskitsch) sind. Auf „Spells“ trifft leider beides zu.
Die bewusste Reduktion hat in Deutschland Tradition. Im Krautrock erprobten sich zu Beginn der Siebziger diverse Bands erfolgreich an der Magie der Wiederholung, von Neu! bis zur Berliner Schule um Tangerine Dream. Zum Umfeld der Letzteren zählt der Berliner Rolf Trostel, der zu Beginn der achtziger Jahre einige Alben mit minimalistischer Synthesizermusik veröffentlichte. „Inselmusik“ von 1981 war das Debüt Trostels, der wie die oben genannten jüngeren Kollegen klassisch ausgebildeter Pianist ist.
„Klangfarbenkomposition“ nannte er seine ausgedehnten Instrumentalstücke, eingespielt auf einem PPG Wave Computer 360 A, einem frühen digitalen Synthesizer. Auch wenn die Resultate nicht unbedingt zwingend geraten sein mögen, ist es Trostel allemal gelungen, die viel gescholtenen digitalen Sounds in vorteilhaftem Licht zu präsentieren. Tim C. Boehme
Ben Lukas Boysen: „Spells“ (Erased Tapes/Indigo)
Rolf Trostel: „Inselmusik“ (Bureau B/Indigo)
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