Berlinmusik: Von wegen Liebe
Wo sind eigentlich die ganzen Kapuzenpullover tragenden Indiepop-Jungs hin? Eine Zeit lang gab es sie wie Sand am Meer. Sie waren manchmal fröhlich, aber oft auch mürrisch und betrübt; und wenn sie nicht an der Uni rumhingen, dann spielten sie etwas nölige Rockmusik und sangen über Liebeskummer. Gut, zuletzt gab es noch eine Band wie Mikroboy, aber sonst war von der zwischenzeitlichen Indie-Inflation nicht mehr viel übrig. Vielleicht ist der deutsche Indiepop, wie man ihn kannte, aber auch einfach nur aus der Zeit gefallen.
Das kürzlich erschienene Debütalbum des Berliner Quintetts Von Wegen Lisbeth („Grande“) wäre ein Versuch, dem Indiepop eine Frischzellenkur zu verpassen – und über Gelingen beziehungsweise Nichtgelingen zu urteilen ist gar nicht so einfach. Denn einerseits bringt die Band, die sich zu Schulzeiten in den nuller Jahren zunächst als Duo gründete, die nötige Freshness mit, um dieser Stilrichtung zu etwas mehr Einfallsreichtum und Zeitgeist zu verhelfen. So ist musikalisch weit mehr als die übliche Vermischung von Indierock mit Pop-Hooklines zu hören. Wenn die Spuren auch größtenteils eher zart sind, so klingen in den 14 Stücken unter anderem Funk-, Calypso- und Jazz-Elemente an, das obligatorische Songwriter-Stück („Baerwaldpark“) darf natürlich auch nicht fehlen. Mangelnden Abwechslungsreichtum kann man der Band also nicht vorwerfen. Andererseits ist das Album, das direkt mal auf einem Major erscheint und mit dem man Von Wegen Lisbeth als Hoffnungsschimmer am deutschen Indiehorizont vermarkten will, textlich auch nicht so wahnsinnig aufregend. Die Liebe ist das beherrschende Thema („Cherié“, „Lisa“) und wird zuweilen wenig originell und klischiert besungen („Denn dass diese Welt nicht zusammenfällt / liegt nur allein an deinen Beinen“ heißt es in „Wenn du tanzt“). Dass die erste Singleauskopplung „Bitch“ so auf Digital-Native-Sommerhit getrimmt wurde, kommt zudem eher nervig rüber. Und wenn Von Wegen Lisbeth in den eher harmlos-gefälligen Texten aktuelle politische Seitenhiebe einbauen („Hass deinen Bruder / Lieb die AfD“), wirkt dies unmotiviert und zu gewollt.
Da ist noch Luft nach oben, wäre also das naheliegendste Resümee, das zu ziehen wäre. Zwar klingt „Grande“ besser und luftiger als vieles, das im deutschsprachigen Indierock in den Nullerjahren aufpoppte und wieder abtauchte – will man das Genre aber noch mal neu erfinden, braucht es vor allem stärkere Inhalte. Jens Uthoff
Von Wegen Lisbeth – Grande (Columbia/Sony)
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