: Berliner zeigen Krieg die Stirn
Am Abend demonstrierten mehr als 60.000 Berliner gegen den Beginn des Krieges im Irak. Sie forderten unter anderem das Ende der Überflugrechte von der Bundesregierung
Es war eine Demonstration gegen einen Krieg, der fast gleichzeitig stattfand. Kurz bevor US-Bomber und Marschflugkörper am gestrigen Abend die zweite Angriffswelle gegen Bagdad flogen, versammelten sich am Alexanderplatz zehntausende von Demonstranten. Nachdem am Morgen bereits über 50.000 Schüler auf die Straße gegangen waren (siehe unten), war dies die zweite Demonstration der Berliner am Tag X, dem Beginn des neuen Irakkriegs.
Während immer mehr Demonstranten aus der U-Bahn strömen, werden auf dem Platz selbst Transparente, kubanische Fahnen, IG-Metall-Wimpel und eine Regenbogenfahne geschwenkt. Blaue Luftballons mit Friedenstauben streben in die Höhe. Ein Charlottenburger hat die altgediente Che-Guevara-Fahne mitgebracht.
Auch Etto und Tamara, beide Schüler der Wilhelm-Busch-Oberschule sind am Alex. Etto, 15, Sohn libanesischer Palästinenser, die kurz vor seiner Geburt nach Berlin übersiedelten, hat eine palästinensische Flagge dabei. Dass die immer viel Aufmerksamkeit erregt, hat er einkalkuliert. „Ich möchte aber nicht, dass die Leute hier gleich an Selbstmordattentäter denken, schließlich sind die Palästinenser nicht alle so.“ Er selbst ist für Frieden und davon überzeugt, dass „der Konflikt im Nahen Osten nur friedlich gelöst werden kann“.
Gestern Nachmittag, als er zwischen den beiden Demos des Tages die Kriegsbilder im Fernsehen gesehen hat, wurde er traurig. „Ich finde, man sollte Bush und Saddam in einen Boxring sperren und es da austragen lassen.“ Dann, so denkt Etto, müssten nicht unschuldige Kinder in diesem Krieg sterben.
Unterdessen strömen immer mehr Menschen zum Alexanderplatz. Gegen 19 Uhr sind es bereits über 60.000. Auch die Polizei, die sich am Vormittag bei den Schülerdemonstrationen noch zurückgehalten hat, wird inzwischen nervös. Ein Teil der Demonstranten will sich nicht mehr mit einer Kundgebung zufrieden geben, sondern zum Außenministerium ziehen. Vorneweg sind die Aktivisten und Globalisierungsgegner von Attac. Ihr Ziel: Die Bundesregierung soll den USA die Überflugrechte über dem deutschen Luftraum verwehren.
Zur gleichen Zeit demonstrierten auch in Kreuzberg einige tausend Kriegsgegner. Auf dem Lautsprecherwagen schwingt ein arabischer Jugendlicher die irakische Fahne. Es ist die typische Kreuzberger Mischung, die gegen den Irakkrieg demonstriert: Linksradikale und Punker, türkische, arabische Jugendliche und ausländische Splitterparteien.
Das Bündnis Kreuzberg gegen Krieg setzt sich bewusst von der Demonstration ab, die gleichzeitig am Alexanderplatz begonnen hatte.
„Wir sind hier, weil vom Krieg auch besonders viele Migranten betroffen sind, die in Kreuzberg leben – türkische, kurdische.“ Im Demonstrationsaufruf fordern die Organisatoren: „Keinerlei finanzielle und logistische Unterstützung der Bundesregierung für diesen Krieg!“ Zudem müsse der deutsche Luftraum für US-Kampflugzeuge gesperrt und sämtliche deutsche Truppen aus der Golfregion abgezogen werden.
Das Ziel der Demonstration war die SPD-Zentrale an der Wilhelmstraße, wo sich ein großes Polizeiaufgebot versammelt hatte. Zu Auseinandersetzungen war es bis Redaktionsschluss allerdings nicht gekommen. Allerdings hat die Polizei nach Angaben der Veranstalter fünf Demonstranten festgenommen.
Ganz andere Gegner des Irakkriegs hatten sich am Abend am Bahnhof Lichtenberg versammelt. Es waren etwa 150 Neonazis, die von der Frankfurter Allee in Richtung Nöldnerplatz ziehen wollten. Einige von ihnen schwenkten palästinensische Fahnen. Ihnen hatten sich etwa 50 Gegendemonstranten gegenübergestellt. Auch hier war es bis Redaktionsschluss zu keinen Auseinandersetzungen gekommen.
Den Globalisierungsgegnern, die auf dem Weg zum Auswärtigen Amt sind, haben sich unterdessen etwa 5.000 Demonstranten angeschlossen. Die Polizei hatte nach ihrer anfänglichen Nervosität die Lage wieder im Griff. An der Spitze des Zuges begleiteten sie den Demozug im Spalier, ohne allerdings die Helme aufgesetzt zu haben.
Weitgehend ruhig blieb es am Ende auch vor der Kreuzberger SPD-Zentrale. Unterdessen gingen in Bagdad die Bombardements weiter. Am Abend wurden das Planungsministerium und weitere zwei Gebäude in der irakischen Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt.
GES, ROT, LJAY, HKL