Berliner Zwinger wird 70: Lasst die Bären los!
An diesem Samstag feiern vermeintliche Tierfreunde den 70. Geburtstag des Berliner Zwingers, in dem die beiden Stadtbären Maxi und Schnute in einer winzigen Betonlandschaft leben. Damit muss Schluss sein, fordern taz und viele Tierschützer.
Mit dem Bärenzwinger in der Nähe der Jannowitzbrücke ist es wie mit einer schlechten Gewohnheit: Eigentlich weiß man, dass man da dringend etwas ändern müsste. Aber irgendwie kümmert man sich nicht drum, genauso wie man Kunde bei dem Atomstromanbieter bleibt, weiter an Silvester böllert oder zu viel Fernsehen schaut. So werden die zwei (Groß-)Stadtbären weiter in ein viel zu kleines, von Beton dominiertes Gehege in der Innenstadt eingesperrt. Aus welchem Grund? Ganz einfach: Weil man sich sonst damit beschäftigen müsste.
Der Zwinger feiert in dieser Woche Jubiläum: Vor 70 Jahren wurde er eröffnet. Den Bau in der Rungestraße hinter dem Märkischen Museum in Mitte hatte Berlins Nazi-Bürgermeister Julius Lippert durchgesetzt (siehe rechts). Was damals als besondere Attraktion geplant war, lockt heute kaum noch einen Besucher an. Inzwischen wissen viele Berliner gar nicht mehr, dass es einen Zwinger mit Braunbären in der Innenstadt gibt.
Wieso gibt es den Zwinger? Den Anstoß zum Zwingerbau gab der Berliner Wilfrid Bade. Am 23. August 1937 veröffentlichte er in der B.Z. am Mittag einen Brief an den Oberbürgermeister Julius Lippert mit dem Titel "Uns fehlt was in Berlin". Berlin feierte in jenem Jahr sein 700-jähriges Bestehen, Bade wünschte sich ein Freigehege mit Bären, damit sich die Bürger an ihrem Wappentier erfreuen können. Lippert fand die Idee gut: Die Innenstadt würde um eine originelle Sehenswürdigkeit bereichert.
Wer hat den Zwinger gebaut? Ursprünglich war der Zwinger ein Stadtreinigungsgebäude. Die Umbauarbeiten begannen im Herbst 1938 und umfassten drei Bärenkäfige, je einen Lagerraum für Streu und Futter, einen Innenhof mit Oberlicht, einen Pumpenkeller, zwei überdachte Bärenlagerplätze, zwei Ausläufe und Wassergräben. Der Bau ist im Wesentlichen so erhalten. Am 17. August 1939 wurde der Bärenzwinger übergeben.
Wo kommen die Bären her? Bern, das im Wappen auch einen Bären führt, spendete 1939 zwei Tiere, Urs und Vreni. Dazu kamen zwei Bären aus dem Berliner Zoo.
Was haben die Nazis mit dem Zwinger zu tun? Wenig. NS-Propagandaminister Joseph Goebbels sprach sich sogar gegen das Projekt aus, weil es wichtigere Aufgaben gebe. Oberbürgermeister Lippert aber setzte es durch.
Und was ist mit dem Berliner Wappen? Die Bärentradition geht auf einen Gildebrief der Berliner Kürschner vom 22. März 1280 zurück. Er trägt das älteste bekannte Bärensiegel der Stadt. Es stellt zwei gepanzerte Bären als Schildhalter eines Wappens mit Adler dar.
Wie viele Tiere wohnten in dem Zwinger bisher? 55 Braunbären, von denen 47 im Zwinger geboren wurden. Rekordhalter ist Jette. Nach ihrem Einzug 1949 brachte sie 33 Junge zur Welt. Heute leben hier die amtierende Stadtbärin Schnute und Tochter Maxi. AG
An diesem Samstag ist dort nochmal etwas Brimborium. Der Verein "Berliner Bärenfreunde", in dem sich so viele Zwinger-Befürworter versammeln, feiert sich und die Bären. Und zwar von 11 bis 13 Uhr. Erwartet werden der Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke (SPD), der Europa-Abgeordnete Joachim Zeller (CDU) und der stellvertretende Botschafter der Schweiz, Urs Hammer. Für die Gefangenen gibt es auch etwas: Maxi (23) und Schnute (28) bekommen etwa Mangos, Avocados und Schweineohren.
Zum Jahrestag melden sich auch noch einmal die Kritiker. Zum Beispiel Laura Zimprich, die Sprecherin des Tierschutzvereins "Animal Public". Sie sagt: "Die Tiere dort können ihre natürlichen Verhaltensweisen nicht ausleben, sie können nicht laufen, klettern, graben oder schwimmen. Diese Haltung ist nicht artgerecht." Die Berliner seien es "ihrem Wappentier schuldig, ihm endlich das bestmögliche Leben zu ermöglichen".
So sieht das auch Claudia Hämmerling, Tierrechtspolitikerin der Grünen im Abgeordnetenhaus. Sie zieht einen Vergleich zu dem Eisbären und Publikumsliebling Knut, der vergleichsweise komfortabel im Zoo lebt: "Wenn man den plötzlich auf so ein kleines Gelände sperren würde, wäre der Aufschrei riesig. Aber weil die Braunbären immer schon dort waren, ändert sich nichts." Vor 70 Jahren habe man noch wenig über die Bedürfnisse und das Schmerzempfinden von Bären gewusst. "Jetzt wissen wir viel mehr, und das müssen wir auch berücksichtigen", erklärt Hämmerling.
Das könnte auch rasch passieren. Denn inzwischen ist absehbar, dass sich die Vorgaben für die Haltung der Tiere ändern werden. "Wir bekommen im Laufe der nächsten vier Jahre ein neues Säugetiergutachten vom Bund", sagt der Landestierschutzbeauftragte Klaus Lüdcke. "Da steht mit Sicherheit drin, dass das Gehege doppelt so groß sein muss."
Sobald die neuen Vorschriften gelten, muss Berlin also aufwachen. Und sich beeilen: "Dann geht der Wettlauf zwischen den Bärenzwingern in Deutschland los, wer seine Tiere in einem Bärenpark unterkriegt." Das Gelände müsse nicht nur größer sein, sondern auch stärker der freien Wildbahn nachempfunden.
Es gibt also Hoffnung für Maxi und Schnute. Wie es eben so oft mit schlechten Gewohnheiten ist: Wenn man sie nicht aus eigener Kraft beendet, kann ein Anstoß von außen Wunder bewirken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz