Berliner Szenen: Musikalische Differenzen
Alptraum II
„Alptraum II“ hieß die Eckkneipe früher, ich traute mich nie hinein. Als wir auf dem Weg nach Hause neulich daran vorbeigehen, stellen wir fest, dass sie umbenannt wurde und rundum erneuert. Ein älteres Paar tanzt, eine Frau macht uns ein Zeichen mit einer Rose in der Hand. „Kommt rein!“, lesen wir von ihren Lippen ab.
Als wären wir Fremde in einem Western, die die Saloontüren öffnen, drehen sich alle in Zeitlupe zu uns. Wir ignorieren ihre fragenden Blicke und bestellen Bier. Die Frau mit der Rose scheint uns schon vergessen zu haben. „Diese Musik ist die Hölle“, schreit sie dann ein junges Pärchen an, das mit Hilfe eines Handys auf Spotify Popsongs aussucht. „Was willst du hören, Lyssi?“, mischt sich die Wirtin ein. „Na, Techno?“, sagt sie.
Das Pärchen versucht etwas zu finden, aber Lyssi ist unzufrieden. „Amtlicher Techno ist grausam“, sagt sie. „Muffin ist aber der beste DJ der Welt“, erwidern die beiden. „Befreit uns von dieser Musik!“, brüllt Lyssi weiter. Dann werden wir nach unseren Musikwünschen gefragt. Jemand will David Bowie hören und löst damit eine Diskussion bei dem Pärchen aus: Er will uns den Wunsch erfüllen. Sie meint, Bowie sei zu traurig, seit er gestorben wäre. Dann doch lieber Radio-Pop und wieder Lyssi: „Wenn mein Sohn und meine Schwiegertochter solche Musik hören würden, ich täte sie erschießen!“.
„Okay, jetzt hören wir Cumbia und tanzen dazu“, schlage ich vor, um einen Überraschungseffekt zu erzeugen. Es klappt zunächst: Wir tanzen, die Wirtin nickt. „Wie früher beim Latino in der Weisestraße“, sagt ein Mann an der Theke sehnsuchtsvoll. Dann beobachten wir, wie Lyssi ihren Mantel anzieht und fürchten uns vor der nächsten Eskalationsstufe. „Hier fehlt Musik“, sagt sie mit normaler Lautstärke und verschwindet.
Luciana Ferrando
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