Berliner Szenen: Hitler und Hippies
ImAuftrag der Liebe
„Dit is hier keene Beerdjung, junger Mann“, kräht die Stehnachbarin und stopft mir ein bunt oszillierendes Leuchtmikrofon in den Mund. Sie ist eine von 18.000 manisch Gutgelaunten, die an der Waldbühne in knalligen Synthetikfummeln Dieter Thomas Kuhn anjubeln. „Im Auftrag der Liebe“, wie jeden Sommer. Halbironischer Hippie-Schlager in Hitlers Thing-Stätte: Ich bin entzückt von der Idee, aber notorisch hüftsteif. Rückzug zum Bratwurststand.
Nirgends lernt man so leicht Frauen kennen wie bei DTK-Konzerten, sagt ein bunt beschlaghoster Föhnwellen-Jünger. Flirt am Büdchen: Das hübsche Wurstmädchen und ich haben die Hände voll. Münzen gegen Mahlzeit, eine Mischung aus Gang-Handshake und doppeltem Rittberger. Hautkontakt, Lächeln (sie selbstbewusst, ich schüchtern), nächster Rückzug.
Wie zwei Dutzend andere habe ich einen Aufkleber an der Hose. Wir kennen wen, deshalb dürfen wir backstage. Also rein in den Wald. Thomas Schaaf ist da („jedes Jahr!“), seine Zwei-null-hinten-Körpersprache aus Seitenlinien-Zeiten auch.
Ich lande zwischen fünf Schwaben, „Alte Herren“, Spvgg Mössingen. Noch mehr Fußball: „Schon mal aufgefallen, dass Dardai und Darida fast gleich heißen?“, fragt einer. „Ein Palindrom!“, freut er sich, „nee, halt, ein …“ – „Anagramm“: ich punkte mit Halbbildung, peinlich. Die Feierabendkicker nicken anerkennend. Zum Dank darf ich sie mit Thomas Schaaf fotografieren. Auf dem Weg zur S-Bahn beginnt es zu regnen. Einem zotteligen Flaschensammler fehlen einsfünfzig für das Ticket zum Westkreuz. Ich suche, hab aber nur noch einen Euro. Der Herr in Lacoste-Jacke, der erst den Kopf geschüttelt hat, kramt in der Tasche; wir legen zusammen. Der Zottelige dankt vergnügt, steckt das Geld ein und schlurft ohne Fahrschein in die Bahn. Der Auftrag der Liebe ist ab heute auch meiner. Thilo Adam
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen