Berliner Szenen: Sparschwein für Uslar
Flohmarkt
„Very interesting“ sei der Stoffbär, sagt eine Frau mit den Flusen an den Fingern und geht dann zur Wurst. Der Flohmarkt auf dem Arkonaplatz ist ein Must-go für Menschen mit Hang zu vormodernen Kochbüchern (Biberschwanzsuppe), sprechenden Leselampen und DDR-Lochern (drei Löcher!). Ein alter Mann fragt nach dem Licht, das die Neonbuchstaben dort ausstrahlen: kalt oder warm? Vermutlich will er lesen lernen.
Dann der helle Wahnsinn: Moritz von Uslar. Reporterlegende, Autorenheld, Dramatikergröße, Starinterviewer, Journalismusgigant; steht gegenüber, schaut hektisch ins Leere. Was treibt den lässigen Beau wohl hierher? Der umstehende Hipster-Rentner-Schnüfflerpöbel: Zeuge eines Trends, eines Wunders? Der schönste Mann der Stadt – der neusten Mode auf der Spur? Investigativ-Jesu Frühshoppen?
Stattlicher Schnittigjournalist Motse Uslar ist ein Bär; Baggerschaufeln die Hände, von Gucci designt. Schon der Blick enthält so viel Libido, dass damit ein Atomkraftwerk von der Größe einer mittleren Kleinstadt … Und doch: Schon seit zwanzig Minuten steht er an dem Stand, schäkert. Offenbar verkauft er hier. Sich? Seinen Körper? Seine Hemden? Seinen Geist? Geldsorgen, Schulden?
„Wichtiger Schuh!“ Mos Bassbariton dröhnt durch die Luft – in der Hand hält er orange Slipper, „einen Euro“, nach Interessenbekundung erhöht er auf 2: „Total hässlich sind die, oder? Habe ich nur einmal getragen, ganz kurz in der Wohnung!“
Ist er bei Trost? Will er einen Blick in das Buch „Zeitungsspiele“ – „Spielideen für Kinder von 4 bis 14 und ihre Eltern“ werfen (3 Euro; S. 53: „Wörter einkreisen“)? Einer Gus-Backus-Platte lauschen (2 Euro): „Wir sehen uns wieder, ja, das spüre ich/ mein Schimmel wartet im Himmel auf mich“? Es gibt Dinge, die traut man nicht mal von Uslar zu . Adrian Schulz
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