Berliner Szenen: Tiergartenbesuch
Die Amazone
Es gibt ein Monument im Tiergarten, das mich fasziniert. Immer, wenn ich dort bin, muss ich mich in seiner Nähe aufhalten. Es wirkt banal: eine Frau auf einem Pferd. Eine Amazone, geschaffen vom Bildhauer Louis Tuaillon. Sie ist barfuß, ihr Oberkörper frei. Keine Spannung, keine Kampfabbildung, die Reiterin sitzt hoch zu Ross und scheint die Gegend zu beobachten, als stehe sie nicht in Berlin, sondern an einem Fluss mitten in der Natur.
Alle Wege münden in diesen Platz, rings um das Monument Büsche mit gelben Blumen. Es ist schwer, sich anzunähern, wenn man sich Details angucken will oder nachlesen möchte, ob die Amazone einen Namen hatte oder jemand war, der nicht nur in der Fantasie des Künstlers existierte.
An einem warmen Sonnentag transportiert mich das Monument gedanklich aufs Land nahe Buenos Aires, es riecht nach Glyzinien, Jasmin und Brautspiere. Es singen die Zikaden, während die Gutsherren Siesta machen und die Gauchos im Schatten der Bäume Mate-Tee vorbereiten.
Als sich das Licht nach einem Regenschauer auf dem Platz im Tiergarten verdunkelt wie auf einem Bild mit blauem Filter und ich die glänzende Figur aus Bronze sehe, stelle ich mir vor, ich würde zufällig jemand von früher treffen. Wir würden schweigen, im Wald spazieren gehen und es würde riechen, wie es im Wald riecht, wenn alles noch nass und vom Regen erfrischt ist.
Im Tiergarten sehe ich die Passanten: eine ältere Frau im Rollstuhl, eine junge Frau, die wie Pippi Langstrumpf aussieht, einen Sportler mit pinkfarbenem Kopfhörer, eine Gruppe Touristen mit Selfie-Sticks, einen Mann mit einem T-Shirt, auf dem „Sag alles ab“ steht. Die Amazone blickt zur Seite, ruhig, ausdruckslos. Das Pferd guckt nach vorne. Es guckt mich an. Luciana Ferrando
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