Berliner Szenen: Hochschwanger beklaut
Der Dieb
Beim Kaffeebezahlen beim Bäcker sagt die Bäckereifachangestellte: „Das ist ein Euro zu viel.“ Ich bedanke mich, und sie fügt hinzu: „Ich bin halt ehrlich. Ich hoffe, dass alles zurückkommt. Ich lächle: „Ich auch. Zum Beispiel in Form eines verloren geglaubten Portemonnaies, das in der Post liegt.“ Sie nickt: „Ich wurde beklaut, als ich hochschwanger mit meiner Tochter war. Mein Portemonnaie wurde bei der Post abgegeben.“
Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie ich vor dreieinhalb Jahren mit einem Kinderwagen auf der Rolltreppe stand, als eine Frau zu mir sagte: „Der junge Mann hat Ihnen ihr Portemonnaie geklaut!“ und auf einen circa 16-jährigen Blonden zeigte, der die Rolltreppe gegenüber runterrannte. Mein Freund, der nur wenig Deutsch spricht, bekam nicht mit, was passiert war. Ich überließ ihm den Wagen, rannte die Rolltreppe hoch, schrie von oben, so laut ich konnte: „Haltet den Dieb!“, und stürzte dem Jugendlichen hinterher, die Rolltreppe hinunter.
Ich war im siebten Monat schwanger, mein Bauch war deutlich zu sehen. Der Jugendliche sah sich um. Kurz trafen sich unsere Blicke, dann sprang er über die letzten Stufen, rannte über den Bahnsteig und verschwand im Waggon einer losfahrenden U-Bahn. Atemlos und wütend stand ich am Gleis und dachte an das Bargeld, das ich gerade erst abgehoben hatte. Eine Stunde später, nachdem ich meine Bankkarte gesperrt und Anzeige erstattet hatte, realisierte ich, wie gefährlich es war, den Dieb zu verfolgen.
Am nächsten Tag bekam ich einen Anruf. Eine Frau sagte in strengem Ton: „Deutsche Post, guten Tag. Wir haben ihr Portemonnaie in unserem Briefkasten gefunden.“ Während ich erleichtert ausatmete, schimpfte sie: „Nur dass Sie’s wissen: Wir sind hier nicht das Fundamt. Passen Sie das nächste Mal doch bitte besser auf ihre sieben Sachen auf.“ Eva-Lena Lörzer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen