Berliner Szenen: Die Klinke
Korrektes Handwerkerisch
Als ich vor 13 Jahren in meine Wohnung zog, hatte ich vor, so schnell wie möglich die verschnörkelten, goldenen Türklinken auszutauschen. Ich schraubte eine Klinke ab und fuhr damit zum Baumarkt, konnte mich aber für kein Modell entscheiden, außerdem wäre es sehr teuer gewesen.
Seither steckte die Klinke nur noch lose auf dem Vierkant und fiel immer wieder ab. Die kleine Schraube, mit der man sie befestigte, war verschwunden, und ich hatte mich an das Provisorium gewöhnt. Nun habe ich im Heimwerkerladen eine neue Schraube für 50 Cent erworben und die Klinke wieder festgeschraubt. Ein großer Tag! Es fühlt sich noch ungewohnt an, dass ich die Tür nun ohne größere Vorsicht öffnen und schließen kann. Im Laden hatte ich wieder diese Minderwertigkeitskomplexe, weil ich den Fachbegriff für die Schraube nicht wusste (war es eine „Made“?) und der Betreiber mit Spott nicht sparte, als ich meinen Wunsch nicht in korrektem Handwerkerisch ausdrücken konnte (Es heißt nicht „Türklinke“, sondern „Türdrücker“). Vielleicht ärgerte er sich auch nur, dass ich nicht gleich zehn Schrauben gekauft habe.
Die vielen Holzschubladen voller Kleinteile, so wäre ich zu Hause auch gern ausgestattet. Wenn ich denke, wie hilflos ich bei Problemen mit meinem Computer oder Handy bin, empfinde ich eine tiefe Sympathie für jede Schraube, die ich mit einfachen Mitteln festschrauben kann. Ich habe mir einen Satz Präzisionsschraubenzieher gekauft, um bei der Reinigung meiner Digitalkamera von Sandkörnern und Staub eine Ebene tiefer vorzudringen. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein großer Schritt für mich. Ich muss mich mit meinen Fertigkeiten nicht verstecken, eines Tages werde ich zum Mann vom Heimwerkerladen auch einmal ein Wort sagen, das er nicht kennt; vielleicht „Acnestis“.
Jochen Schmidt
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