Berliner Szenen: Im Bürgerpark
Nackt in der Kälte
Sonntagmorgen im Januar. Der Bürgerpark Pankow liegt unter einer Schneedecke. Ich stehe mit mehreren Schichten Sportkleidung, Schal und Mütze am Eingang und überlege, ob meine Laufschuhe den Schnee abhalten. Da kommen die ersten Jogger vorbei, alle ähnlich dick angezogen wie ich. Was die können, kann ich auch. Es ist ziemlich kalt. Die Panke fließt rasant durch den Park, die Enten werden von der starken Strömung abgetrieben. Dass die das aushalten in der Kälte!
Die große Rasenfläche ist noch unberührt weiß, bis auf einen schwarzen Punkt, der schnell größer wird. Ein durchtrainierter Mann, braun gebrannt, in knappen Shorts und Trägerhemd. Bald erkenne ich ihn als Vater aus unserem alten Kindergarten. Aber mich erkennt er nicht, vermutlich wegen der vielen Kleidung. Ich weiß, dass er Triathlon macht. Aber warum hat er fast nichts an? Ich treffe ihn noch mehrmals. Auf eine meiner Runden kommen drei bei ihm.
Dann sehe ich ihn die Böschung zur Panke hinunterklettern. Ob er da jetzt noch eine Runde schwimmen geht? Er hält inne und blickt sich um. Ich möchte nicht neugierig erscheinen, geht mich ja nichts an, ob er im Januar in der Panke badet. Aber wissen möchte ich es schon. Hinter dem nächsten Baum bleibe ich stehen und sehe ihm zu. Er kühlt sich Stirn und Nacken. Hätte er nicht Schnee nehmen können?
Zu Hause erzähle ich Mann und Kind von meiner Begegnung. Sie philosophieren ein bisschen über die Beweggründe, bei Minusgraden in Sommersachen zu laufen. Am nächsten Morgen treffe ich meinen Mann in der Küche. Es ist zehn vor sechs, sonst nicht so seine Zeit. „Warum bist du schon wach?“, frage ich. „Ich war laufen“, sagt er. „Nackt. Das ist jetzt Trend. Aber ich wollte nicht, dass mich jemand dabei sieht.“
Gaby Coldewey
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