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Berliner SzenenKomische Oper

Bitte ausschalten

Er lächelt mich erstaunt an. Dann winkt er der Tochter

Das Weihnachtsliedersingen in der Komischen Oper ist eine liebgewordene Tradition bei uns. Mit knapp elf Jahren ist das Kind zwar schon fast zu alt dafür, wollte aber auch dieses Jahr wieder hin. Weil „das so weihnachtlich ist“. Stimmt.

Viele Kinder, die zu diesem Familienkonzert kommen, sind noch klein. Sie wuseln laut und aufgeregt durch die Gänge oder spielen Bulldozer mit ihrem Sitzkissen. Aber schließlich sitzen doch alle ruhig auf ihren Plätzen. Wir in der zweiten Reihe außen. Die Plätze vor uns sind frei. Eine freundliche Durchsage an alle Kinder und Eltern, Omas und Opas informiert, man möge bitte die Handys ausschalten. Fotografieren sei nicht erlaubt, und außerdem könne man die Vorstellung so viel besser genießen. Dann kommen der Kinderchor und die Moderatorin. Wir schmettern „Alle Jahre wieder“ und „Ihr Kinderlein kommet“.

Ein Mann mittleren Alters setzt sich auf einen der freien Plätze vor uns. Er hält sein Smartphone hoch, zoomt die Sänger näher und knipst ohne Pause. Dann steht er auf und filmt. Wir sehen seinen Kopf. Und seine Hände. Und das große Display.

Das Kind ist sauer. „Mama, das nervt.“ Finde ich auch. Ich warte noch „Es ist ein Ros entsprungen“ ab und sage dann bemüht freundlich: „Entschuldigung, würden Sie bitte das Handy wegpacken. Wir sehen nur Sie und Ihr Display. Das ist sehr störend.“ Er lächelt mich erstaunt an. Dann winkt er seiner kleinen Tochter zu. Sie singt im Chor mit, in der ersten Reihe. Er ist bestimmt stolz. Zehn Minuten später macht er wieder Fotos, hält aber das Handy nicht mehr ganz so hoch. Er fotografiert den Kronleuchter. Vielleicht ist das sein erster Theaterbesuch, denke ich.

Nach dem Konzert sagt das Kind sehr laut und sehr zornig in seinen Rücken: „Und so was will Vorbild für Kinder sein!“

Gaby Coldewey

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