Berliner Szenen: Die Mauer beim Essen
Türkische Brötchen
Das Kind schaut auf YouTube neuerdings immer „Sallys Welt“. Das ist eine von Deutschlands erfolgreichsten Kochsendungen im Internet. Sally heißt eigentlich Saliha Özcan. Sie kommt aus Baden, was man deutlich hört. Aber ihre Familie stammt aus der Türkei, weshalb Sally neben vielen süddeutschen eben auch türkische Rezepte im Programm hat.
Immer, wenn das Kind etwas von Sallys Rezepten besonders gut findet, darf ich mitschauen. Weil: dann gibt’s das vielleicht auch bei uns mal. Letzthin waren das zum Beispiel gefüllte Brötchen mit Knoblauchwurst (Türkisch: Sucuk) und Feta, Sesam und Schwarzkümmel. Das Kind war an der Produktion beteiligt, das Ergebnis war herausragend.
Jetzt steht eine Feier des Pankower Fußballvereins an, um die Mittagszeit, mit Eltern. Und natürlich soll man was zu essen mitbringen.
„Wollen wir noch mal die Sucuk-Brötchen machen“, frage ich das Kind vor der Schule, als ich den Einkaufszettel schreibe. Blankes Entsetzen in seinen Augen. „Mama! Glaubst du, irgendjemand von denen isst Sucuk? Das sind doch Deutsche.“
Vor sieben bin ich meistens nicht so reaktionsstark und nehme das hin. Wir wohnen in Pankow, hier sind Kinder mit Migrationshintergrund an Schulen und in Vereinen sehr rar.
Gleich hinter der S-Bahn aber beginnt der Wedding. Und hier liegt der Anteil von Schülern nichtdeutscher Herkunft an den Grundschulen zwischen 85 und 90 Prozent. Die Berliner Mauer ist 2016 fast nirgends mehr so spürbar wie hier. Ich kaufe im Wedding ein, wenn ich Sucuk brauche. Oder Feta. Oder frischen Koriander. Oder sonst irgendwas, was es bei uns in Pankow nicht gibt.
Auch mein Arbeitsweg führt hier entlang. Als ich die Wollankstraße entlangradle, frage ich mich, jetzt schon deutlich wacher, ob die Eltern hier auch solche Diskussionen führen. Nur umgekehrt. „Nein, keinen Christstollen!!! Bist du irre? Das sind doch alles Türken in meiner Klasse!“ Gaby Coldewey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen