Berliner Szenen: In der Konditorei
Dating ohne Bilder
In der Konditorei sitzen um elf Uhr morgens ein circa achtzig Jahre alter Herr und eine ungefähr gleich alte Dame an einem Außentisch und trinken Prosecco. Er trägt einen schwarzen Nadelstreifenanzug und eine farblich abgestimmte Krawatte, sie ein fliederfarbenes Kostüm und eine doppelreihige Perlenkette.
„Was also wolltest du mir nun berichten, Ernst?“, fragt sie. Er sieht sich mehrmals um, als wollte er sich vergewissern, dass ihm auch niemand zuhört. Er betrachtet mich kurz und fragt sie dann leise: „Meinst du, die schreibt?“ Sie schüttelt unmerklich den Kopf. „Nein, nein. Die bemerkt uns gar nicht. Die jungen Menschen heutzutage sitzen doch immer an ihren Computern, um einen Partner zu finden. Die suchen nach Bildern da im Internet und verabreden sich dann.“
„Woher weißt du so was?“, fragt er sichtlich erstaunt. „Von meiner Enkelin“, erklärt sie knapp und kommt dann, schon etwas ungeduldig, auf ihre Frage zurück: „Also, du meintest, es gäbe etwas zu feiern?“
Er sieht sich wieder kurz nach mir um und sagt dann, nun in normaler Lautstärke: „Ja, die Resi ist letzte Woche gestorben.“ Sie sieht ihn groß an. „Nein, wirklich? So plötzlich? Das ist ja ...“ Ihr fehlen anscheinend die Worte. Er zieht einen Umschlag hervor und reicht ihr eine Karte.
Sie liest. Nach einer kurzen Stille fragt sie: „Ja, und jetzt? Meinst du, wir können gemeinsam zu der Beerdigung gehen?“ Er schüttelt den Kopf. „Das ist zu früh“, sagt er. „Ich gehe besser alleine. Aber demnächst können wir uns dann öfter mal ganz offiziell treffen.“
Sie sieht ihn etwas ungläubig an. „Na, das sind ja Nachrichten! Ganz offiziell.“ Nach einer kurzen Stille fügt sie hinzu: „Hast du bereits einen Anzug für die Beerdigung? Soll ich dir einen auswählen helfen?“
Eva-Lena Lörzer
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