Berliner Szenen: Japanisches Messer
Die Schockmethode
Es ist doch schlimm, merke ich, als die Rezeptionistin der Arztpraxis in Neukölln mich nicht wie sonst nach Hause schickt, weil ich ohne Termin komme. Sie schaut besorgt. „Wie ist das passiert?“, fragt sie. „Kennen Sie diese schicken japanischen Messer? Ich habe gespült, dann …“ Sie verzerrt das Gesicht und signalisiert, dass ich ihr die Details ersparen sollte. Besser so, bloß bei der Erzählung fühle ich wieder die Klinge in meinem Daumen, bis zum Knochen. Der Arzt ruft sofort meinen Namen auf.
„Warum sind Sie nicht gegen Tetanus geimpft?“, fragt er. Vernünftige Antworten habe ich nicht. Er bleibt bei seiner Pro-Impf-Predigt. Ich lasse mich überzeugen, er hat recht sich aufzuregen, bis er dann sagt: „Daran können Sie sterben.“ Ich werde blass, ich will weinen, ich hasse ihn, als hätte er gesagt ich werde daran sterben. Ich verstehe nicht, wie Ärzte so taktlos sein können.
Er bemerkt seinen Fehler und versucht es wiedergutzumachen. „Wenn wir jetzt impfen, sind wir auf der sicheren Seite.“ Meine Angst scheint der Arzt sympathisch zu finden, er guckt mich noch amüsiert an. „Wissen Sie? Ich muss die Leute ein bisschen schocken, Impfungen sind wichtig.“
Auch seine Kollegen benutzen die Schockmethode. Ein Arzt der Praxis erzählte mir vor zwei Jahren von einem Journalisten, der nicht gegen Gelbfieber geschützt und drei Tage nach seiner Rückkehr aus Ecuador tot war. „Kein Witz!“, sagte er.
Zum Glück nimmt mich die Arzthelferin mit. Sanft macht sie die Wunde sauber. Die Nadel in meinen Oberarm merke ich kaum, denn wir kommentieren die ewige Baustelle in der Karl-Marx-Straße, das fehlende Sonnenlicht in den letzten Tagen, „Herbst halt, Herbst in Berlin“. Sie ist empathisch, sie erzählt keinen Horrorfilm, sie scheint zu verstehen: Wenn es wehtut, brauche ich Trost.
Luciana Ferrando
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