Berliner Szenen: Auf dem Ku’damm
Was von Tucholsky
Ein spätsommerlicher Sonntagabend auf der Fasanenstraße, von der Lietzenburger Straße weg, hin zum Ku’damm. Hier sieht Berlin aus, als sei noch nie eine Bombe auf die Stadt gefallen. Außenstrahler beleuchten aufwendig renovierte Fassaden, mit Ornamenten geschmückt und Rauschebartfiguren, die irgendwelche Vorsprünge abstützen, schon seit über hundert Jahren.
Darunter reiht sich Gedenktafel an Gedenktafel. In den Antiquariaten liegen gebundene Ausgaben des „Simplicissimus“, säuberlich drapiert, um die 300 Euro schätzungsweise. Demnächst findet eine Versteigerung statt, irgendwas von Tucholsky, ausgerechnet. Ein sehr seltenes Buch, sehr teuer offenbar auch das. Vor dem Schaufenster parkt ein Maybach, ein Reifen auf dem Bürgersteig. Daneben ein Smart.
Weiter hinten essen noch nicht ganz alte Leute auf Terrassen, Männer in karierten Freizeithemden, Frauen mit Kurzhaarfrisuren. Es ist Pfifferlingsaison, auf den Tellern liegt viel Fleisch, es gibt Wein und keine Tischdecken. Daneben das Käthe-Kollwitz-Museum, in dem die Figuren in Decken gehüllt sind und Hunger haben. Hier hat alles seinen Platz. Nur ich nicht, deswegen laufe ich weiter.
Bloß, die Welt jenseits dieser Straßen ist erklärungsbedürftig. Im Literaturhaus findet bald eine Diskussion statt: „Zur psychischen Dynamik des Neides, einer zentralen Triebkraft menschlicher Motivation im Spiegel seiner literarischen Darstellung und Verdeutlichung“.
Dann die nächste Gedenktafel: Hier hat Robert Musil, heißt es, von 1931 bis 1933 am „Mann ohne Eigenschaften“ geschrieben. Ums Eck hat die Kanzlei Heither & von Morgen ihr Büro; mir wäre Gneisig & von Gestern ja näher.
Aber dafür muss ich anderswohin; mal sehen, welche Eckkneipe im Wedding schon offen hat. Frederic Valin
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