Berliner Szenen: Nach dem Flohmarkt
18 Finger
Aller guten Dinge sind bekanntermaßen drei. Nachdem ich in diesem Sommer schon zwei Mal auf dem Flohmarkt auf dem Boxhagener Platz in Friedrichshain schöne alte Kleiderbügel gefunden hatte, breit, gepolstert und aus grünem Kunstleder, machte ich mich erneut auf den Weg. Ich hatte einige Second-Hand-Kleider gekauft, für die ich ebenbürtige Bügel brauchte. Ich fand drei schöne weiße und zwei gelbe, für 2 Euro das Stück, so viel hatten auch die anderen gekostet. Zufrieden setzte ich mich in ein Café in der Simon-Dach-Straße.
Als die Kellnerin mein Getränk brachte, sprach sie mich auf die Kleiderbügel an, die aus meiner Tasche schauten. „Die sind aber schön!“ Weder sie noch ich konnte sagen, ob sie aus dem Westen oder Osten stammten. Sie erzählte, dass sie über 500 Modezeitschriften aus der DDR zu Hause habe. Unser Gespräch wurde unterbrochen, als Kundschaft kam. Drei junge Männer, eine Frau und ein Kurzhaardackel, für den eine Decke unter dem Tisch ausgebreitet wurde. Die meiste Zeit hockte der Hund aber auf dem Schoß von einer der Herrschaften am Tisch und wurde gestreichelt und liebkost.
Und dann, ich traute meinen Augen kaum, steckte sich einer der Männer zwei etwa vier Zentimeter kleine Plastikhände auf seine Mittelfinger. Es sah sehr lustig aus, wie er damit den Dackel kraulte. Als die Frau sich die Plastikhändchen über die Finger zog, reichte sie dem Hund damit Keksstücke. Auch das war sehr komisch anzusehen. Dann wanderten die Plastikpatschehändchen wieder zu dem Mann zurück. Er tat so, als würde er auf einer Tastatur schreiben. „Ich kann mit 18 Fingern schreiben!“, rief er. 18?, fragte ich mich irritiert. Als ich schon auf dem Rad saß, fiel mir ein, dass er ganz richtig seine Mittelfinger, auf denen die Plastikhändchen steckten, nicht mitgezählt hatte. Barbara Bollwahn
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