Berliner Szenen : Bodyshaming
Lässt de wegmachen
Die Nachbarin lehnt sich mal wieder über den Zaun, als ich gerade mit meiner Tochter im Garten spiele, und fragt: „Ein Geschwisterchen, ja?“ Ich brauche einen kurzen Moment, ehe ich kapiere, dass sie meinen sich unvorteilhaft abzeichnenden Bauch meinen muss, und antworte: „Nur Schokolade.“
Sie murmelt schnell etwas davon, dass das natürlich vorkommen könne nach einer Schwangerschaft, und ich antworte angriffslustig, dass ich noch nie ein großer Sportfan gewesen sei und in meiner knapp bemessenen Zeit einfach andere Interessen hätte, als mich um Bauchtraining zu kümmern.
Sie lächelt verständnisvoll und sagt: „Ich hab da echt Respekt vor. Seinen Körper jemand anderem zu opfern. Ich habe das schon bei vielen Freundinnen gesehen: Die haben ihre Ausgangsfigur nach dem ersten Kind für immer verloren. Bei dir ist es ja wenigstens nur der Bauch.“
Ich runzle die Stirn. Sie lächelt mich aufmunternd an und sagt: „Wenn du wirklich nicht auf Sport stehst, lässte dir irgendwann, wenn de Zeit hast, halt alles schnell mit Kryolipolyse wegmachen.“
„Kryolipolyse?“, wiederhole ich etwas entgeistert. „Davon habe ich noch nie etwas gehört.“ Sie spannt demonstrativ die Muskulatur ihres durchtrainierten Bauchs an. „Wirklich nicht? Das ist so was wie Fett-Freezing: nachhaltige Fettverbrennung durch einen einstündigen Kälteschock.“ Ich muss lachen.
Sie lacht ebenfalls kurz auf und sagt dann allen Ernstes mit einem entwaffnenden Lächeln: „Ich weiß, das klingt zu gut, um wahr zu sein, aber es scheint wirklich zu funktionieren. Ich war gerade selber wegen etwas Botox in einer Klinik und habe da einige getroffen, die den Eingriff hatten. Kostet nur wenig über 1.000 Euro, ist gesünder als Übergeben und schneller als eine Magenverkleinerung.“
Eva-Lena Lörzer
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